Das verbotene Eden 01 - David & Juna
erstaunlichste Gebäude der ganzen Stadt: der große Tempel.
David merkte, wie er den Atem anhielt. Das Bauwerk war mit Abstand das schönste, das er je in seinem Leben gesehen hatte. Eine perfekte Symbiose zwischen Mensch und Natur. Architektur und Landschaft bildeten eine Einheit. Wer immer den Tempel geplant und gebaut hatte, musste ein Genie gewesen sein. Wie düster und trostlos wirkten dagegen die Ruinen der alten Stadt, wo Ratten und Fledermäuse regierten.
»Beeindruckend, nicht wahr«, flüsterte Sven. »Hätte nie gedacht, dass die Weiber so etwas auf die Beine stellen können. Hat man uns nicht immer gesagt, wir hätten es mit primitiven Wilden zu tun?«
David nickte. So manches, was man ihnen über die Hexen erzählt hatte, schien falsch zu sein.
»Vielleicht hat man uns aber auch bewusst belogen«, sagte Sven.
»Warum?«, fragte David. »Das gibt doch keinen Sinn.«
»Nicht für uns«, sagte Sven.
»
Nicht für uns,
was soll das heißen?«
»Ach gar nichts. Vergiss einfach, was ich gesagt habe.«
David dachte ein paar Sekunden über diese seltsame Bemerkung nach. »Wollt Ihr damit etwa andeuten, der Inquisitor …?«
Sven sagte nichts. Stattdessen verzog er den Mund zu einem grimmigen Lächeln. David hob überrascht die Brauen. Solche subversiven Gedanken hätte er dem Konstrukteur gar nicht zugetraut. »Seid bloß vorsichtig, was Ihr da sagt«, sagte er. »Solche Bemerkungen können Euch leicht auf den Scheiterhaufen bringen.«
»Ich habe doch gar nichts gesagt.«
»Aber gedacht, und das ist genauso schlimm. Seid bloß froh, dass ich keiner von diesen fanatischen Ordensrittern bin, die gleich zurückrennen und allen erzählen, was sie gehört haben.«
»Das dürfte dir im Moment auch schwerfallen.« Sven deutete auf eine Ansammlung wütender Frauen, die etwa hundert Meter weiter den Hügel hinunter die Straße blockiert hatten. Es sah so aus, als würden sie auf sie warten.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Sven die Wächterin.
Juna drehte sich um und warf ihnen einen warnenden Blick zu. »Verhaltet euch ruhig«, sagte sie. »Und behaltet eure Köpfe unten. Ich habe befürchtet, dass so etwas passieren könnte.«
26
M ordra machte ein ernstes Gesicht. »Das sieht nicht gut aus. Sie haben die Straße komplett gesperrt. Es sind an die hundert Frauen, viele von ihnen tragen Waffen.«
»Meinst du, sie haben uns erwartet?« Juna öffnete den Verschluss ihres Schwerts. Sie hatte den Befehl erhalten, das Leben der Gefangenen zu schützen, und genau das hatte sie vor.
»Sieht fast so aus«, entgegnete die Anführerin. »Das ist keine zufällige Zusammenkunft. Irgendjemand will verhindern, dass wir die Gefangenen wohlbehalten in ihre Arrestzellen bringen.«
Wie auf ein Stichwort trat aus der Menge eine einzelne Gestalt hervor. Juna erkannte sie sofort.
»Edana.«
Die Ratsherrin blieb stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. An ihrer Seite waren zwei Kriegerinnen, die sich links und rechts von ihr postierten. Ihre entschlossenen Gesichter ließen Schlimmes erahnen.
Mordra ritt auf sie zu und zog dann die Zügel. »Gebt den Weg frei, Edana. Wir sind auf dem Weg zu den Gefangenenquartieren.«
»Wir wissen, wohin ihr wollt«, sagte Edana mit einer Stimme wie frisch geschärfter Stahl. »Doch ihr habt da etwas bei euch, das uns gehört. Liefert uns die Gefangenen aus, dann könnt ihr ungehindert passieren.«
»Was soll das?«, fauchte Mordra. »Ist euch der Honigwein zu Kopf gestiegen? Wir haben den Auftrag, die Gefangenen unversehrt in ihren Quartieren abzuliefern.«
Edana schüttelte den Kopf. »Euer Auftrag lautete, Gefangene zu machen und sie nach Glânmor zu bringen. Das habt ihr getan. Übergebt uns die beiden Teufel, damit wir uns um sie kümmern können.«
»Das entspricht nicht den Befehlen der Vorsitzenden Noreia. Wollt Ihr einen Aufstand anzetteln?«
»Es muss nicht dazu kommen, wenn ihr uns die Gefangenen überlasst«, sagte Edana. »Ich bin sicher, dass wir die Befragung schneller und effektiver durchführen können als ihr. Mir stehen die geeigneten Mittel zur Verfügung, sie zum Sprechen zu bringen.«
»Da bin ich sicher. Genauso, wie ich sicher bin, dass sie die erste Nacht nicht überleben werden. Ich kenne Euren Hass auf die Männer, Edana. Doch der Tod dieser Männer wird Euch Eure Tochter nicht zurückbringen, geschweige denn Euren Schmerz lindern.«
»Was wisst Ihr schon von meinem Schmerz, Mordra.« Die Ratsherrin trat einen Schritt vor. »Ich musste mit
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