Das verbotene Eden 01 - David & Juna
dass tödliche Waffen auf sie gerichtet waren.
»Wer seid Ihr und was wollt Ihr?«
»Ich bin es, Juna, Tochter der Arkana. Ich komme mit einer dringenden Botschaft für die Hohepriesterin.«
Eine kräftige Frau in Rüstung trat aus dem Schatten. Es war Kendra, eine der Drillingsschwestern vom Stelkinghof. Ihr breites Gesicht leuchtete wie ein weißer Fleck in der Dunkelheit. Als sie näher trat, streckte sie den Arm aus und packte Junas Zügel. »Ich grüße dich, Juna. So spät noch unterwegs?«
»Es ging nicht anders. Ich bin viele Stunden geritten und komme mit einer dringenden Botschaft.«
»Die Hohepriesterin, hm?« Kendra blickte zweifelnd. »Ob deine Mutter dich so spät noch empfangen wird? Na egal, geht mich ja nichts an. Aber das nächste Mal nimm lieber ein Horn mit und kündige dich rechtzeitig an. Könnte sonst sein, dass dich ein verirrter Pfeil trifft. Öffnet das Tor!«
Vier Kriegerinnen traten aus den Schatten und machten sich an dem schweren Holztor zu schaffen. Mit dumpfem Dröhnen schwenkte einer der Flügel zur Seite.
»Ich danke dir, Kendra, und gute Nacht.«
»Gute Nacht.« Die Wachfrau ließ die Zügel los und gab dem Pferd einen Klaps. Juna nickte den Wachen zu, dann ritt sie an ihnen vorüber.
Hinter den Bäumen war ein gelber Vollmond aufgegangen und warf lange Schatten über das Gras. Hoch oben am Firmament prangte Venus, der Abendstern. Juna lächelte. Glânmor bei Nacht, das war ein Anblick, den man nicht so schnell vergaß.
Die Hauptstadt des Reiches war in die Hänge eines weitläufigen Kraters gebaut, in dessen Mitte sich ein kreisrunder See befand. Früher musste es ein gewaltiger Vulkan gewesen sein, doch das war lange her. Aus den Fluten ragte der Kegel eines zweiten, kleineren Vulkans empor, auf dessen Spitze die Altvorderen den Tempel der drei Göttinnen erbaut hatten. Dies war das Zentrum der Stadt: der heilige Berg Mâlmot, in dessen Innerem uralte Gänge existierten und aus dessen Flanken warme Quellen sprudelten.
Seit den Dunklen Jahren – wie der große Zusammenbruch vor fünfundsechzig Jahren genannt wurde – hatte sich hier, in der Abgeschiedenheit der wilden Lande, eine starke Glaubensgemeinschaft gebildet. Während die Männer in den Ruinen der alten Städte hausten, hatten sich die Frauen aufs Land zurückgezogen und ein neues Leben aufgebaut. Ein Leben, das auf den Vorgaben der Natur und auf vollkommene Harmonie gründete; ein Leben, in dem das Prinzip des ursächlich Weiblichen seine höchste Vervollkommnung fand. Der Glaube an einen weiblichen Schöpfungsmythos bot den Frauen viele Antworten auf die Fragen des täglichen Lebens, auf die Frage nach Aussaat und Ernte und nach der Verbindung zwischen Mensch und Natur. Nach all den Jahren des Schmerzes und Verlustes hungerten die Frauen nach Spiritualität. Sie hatten eingesehen, dass die Menschen der Neuzeit einem Irrglauben aufgesessen waren, als sie meinten, Forschung und Technik könnten ihre Probleme lösen. Was es ihnen gebracht hatte, daran erinnerten sich nur noch die Altvorderen. Es wurde kaum darüber gesprochen, aber es musste schrecklich gewesen sein. Der Tempel war mehr als nur ein Gotteshaus. Er war ein Symbol für den Neuanfang. Rund um die Uhr brannten Fackeln in seiner Nähe und ließen das Gebäude wie einen Hoffnungsschimmer erscheinen, der über das Land strahlte.
In den Häusern rings um den See brannten noch Feuer. Durch die Fenster waren flackernde Lichter zu sehen, und der Geruch von Gebratenem hing in der Luft. Verhaltenes Stimmengewirr war zu hören, hin und wieder ein Lachen.
Juna ritt an der Schmiede und den Webereien vorbei und stieg dann ab. Das Pferd war am Ende seiner Kräfte.
»Ho, mein Guter.« Sie klopfte dem Schecken auf den Hals. »Du darfst dich jetzt ausruhen, du hast für heute genug geleistet.« Sie führte das Pferd zu den Stallungen, wo Futter, Wasser und eine Unterkunft warteten. Sie brauchte nicht mal zu läuten. Es kam sofort jemand heraus und nahm sich ihres treuen Begleiters an. Die Pferde der Brigantinnen wurden mit besonderer Sorgfalt gepflegt. Juna hängte die Waffen an den Haken, schnappte ihre persönlichen Sachen und machte sich auf den Weg zum Tempel.
Die Insel war über drei Stege erreichbar, die vom Rand des Sees über das Wasser erbaut waren. Jeder der drei Stadtteile hatte einen eigenen Zugang, damit es keine Verzögerungen gab, wenn das Horn zum Gebet rief.
Junas Gang war steif. Vier Stunden auf dem Rücken eines Pferdes, das war selbst für
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