Das verbotene Eden: Magda und Ben: Roman (German Edition)
die Oberfläche. Der Junge lag immer noch reglos mit dem Gesicht auf dem Wasser. Keiner der Zuschauer rührte sich. Alle standen am Beckenrand und gafften.
Ben packte den Jungen und drehte ihn auf den Rücken. Er merkte sofort, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Das Gesicht war blau verfärbt, und er atmete nicht. Dann sah er, dass neben ihm etwas im Wasser trieb. Vor Entsetzen vergaß er beinahe zu atmen. Die Bauchdecke des Jungen war aufgeplatzt, und graue Darmschlingen quollen daraus hervor. Erstaunlicherweise blutete es kaum.
Jetzt sahen es auch die anderen.
Frauen schrien, Männer stöhnten vor Entsetzen. Ein Kind fing an zu weinen.
»Ein Arzt. Ein Arzt. Schnell, wir brauchen dringend einen Arzt.« Der Ruf verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch das Stadion. Jetzt sprangen auch andere Leute ins Wasser und halfen dabei, den Jungen aus dem Becken zu schaffen.
Ben schaute nach oben. Über ihm, an der Kante des Sprungturms, stand das Mädchen und blickte mit versteinertem Ausdruck auf ihn herab.
9
N ame?«
»Benedikt Eigel.«
»Wohnhaft in …?«
Ben gab seine Adresse an. Er sah zwar nicht ein, warum er das alles noch mal wiederholen musste – immerhin stand es doch in seinem Personalausweis –, aber er spielte das Spiel mit, um den Vorgang nicht unnötig zu verzögern.
Er war immer noch traumatisiert von dem Unfall im Schwimmbad. Das Bild, wie der Junge in der Luft stand und mit den Armen ruderte, hatte sich tief in sein Gedächtnis gebrannt. Vielleicht hätte er ihn noch retten können, wenn er schnell genug reagiert hätte. Aber zu dem Zeitpunkt hatte er ja noch mit den Folgen des Magenhiebs zu kämpfen gehabt. Was war nur in dieses Mädchen gefahren? Sie war wie von Sinnen gewesen.
»Herr Eigel?« Die Kriminalbeamtin sah ihn erwartungsvoll an.
»Ja?«
»Ich hatte Sie gefragt, ob Sie einen von beiden kannten.«
»Ich … nein. Der Junge und das Mädchen waren mir völlig unbekannt. Ich glaube auch nicht, dass sie einander kannten.« Er blickte über den Tisch zu dem Beamten, der die Aussage in seine Schreibmaschine hämmerte. »Wird er überleben?«
Der Polizist wiegte den Kopf. »Vermutlich ja. Die Verletzung ist schwer, aber dank Ihres beherzten Eingreifens ist er nicht ertrunken.« Er lehnte sich zurück. »Herr Eigel, der Grund, warum ich Sie hier ins Polizeirevier gebeten habe, ist, weil ich wissen möchte, ob Ihnen irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen ist. Ich meine, ehe es zu dem Zwischenfall kam. Haben Sie bemerkt, ob zwischen den beiden schon vorher Streit geherrscht hat? Manchmal kündigen sich solche Ereignisse ja an.«
Ben überlegte, schüttelte dann aber den Kopf. »Nein«, sagte er. »Die beiden standen vor mir in der Schlange. Mir ist nichts aufgefallen.«
»Sie hatten also nicht den Eindruck, dass sie schon vorher Streit hatten?«
»So genau kann ich das nicht sagen. Aber nein. Sie standen hintereinander. Der Junge mit seinen Freunden vorne, das Mädchen hinter ihm. Sie hatten keinen Kontakt zueinander.«
»Hm. Und der Streit entzündete sich daran, dass der Junge nicht springen wollte?«
»Stimmt. Wissen Sie, ich war lange im Turmspringerverein, ich habe einen Blick dafür, wer springt und wer nicht. Bei dem Jungen war mir klar, dass er kneifen würde. Er wollte sich vor seinen Kumpels nur keine Blöße geben.«
»Aber er hat das Mädchen nicht daran gehindert, selbst zu springen, oder?«
»Im Gegenteil. Er ist gleich zur Seite gegangen und hat sie vorgelassen.«
»Und Sie sind sicher, dass er sie nicht provoziert hat? Mit Worten oder Gesten?«
»Nein, überhaupt nicht. Normales Gequatsche. Nichts, bei dem ich sagen würde, dass es unterhalb der Gürtellinie war. Warum fragen Sie?«
»Nun, es ist höchst ungewöhnlich, dass die Aggressionen vom Mädchen ausgingen. Offenbar hat sie sich ja völlig grundlos aufgeregt.«
»Mir ist ihr Verhalten ein Rätsel …«
»Nicht nur Ihnen, Herr Eigel, nicht nur Ihnen.«
Ben runzelte die Stirn. »Wie meinen Sie das?«
Der Kriminalbeamte lehnte sich zurück und legte die Fingerspitzen aufeinander. »Sehen Sie, laut soziologischen Studien geht die Gewalt fast immer von Männern aus. Zumindest bisher. In den letzten Jahren hat sich da ein kleiner Wandel vollzogen. Eine aktuelle Erhebung des Innenministeriums hat ergeben, dass immer mehr Frauen gegen ihre Partner handgreiflich werden. Gab es 2005 noch knappe fünfhundert weibliche Tatverdächtige, stieg ihre Zahl 2009 auf eintausendfünfhundert. Mittlerweile liegt sie bei
Weitere Kostenlose Bücher