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Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manu Joseph
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viele, es gibt sehr viele.»
    Ousep fragt sich, wie Unni das Fliegen wohl gefunden hätte. Er sieht ihn als klugen jungen Mann in einem seriösen blauen Hemd, der angeschnallt über etwas Wichtiges nachdenkt und dabei die Welt unten durchs Flugzeugfenster betrachtet.
    Iyengar rollt einen Füller zwischen den Handflächen hin und her, als sei dies eine Art Übung, und sagt: «An wen haben Sie gedacht?»
    «An niemanden.»
    «An jemanden, der nie geflogen ist?»
    «Eigentlich habe ich an nichts Bestimmtes gedacht, Doktor.»
    «Ich habe an meine Frau gedacht», sagt Iyengar. «Ich denke dauernd an sie.»
    «Sie müssen sie sehr lieben.»
    «Alle tamilischen Brahmaninnen, die ein bestimmtes Alter erreicht haben, hassen Männer. Wussten Sie das?»
    «Stimmt das?»
    «Das hat meine Frau gesagt. Und sie hat gesagt – wissen Sie, was sie gesagt hat? –, sie hat gesagt, dass sie mich hasst undmich immer gehasst hat. Das waren ihre letzten Worte. Anscheinend war ich ein Ungeheuer. Die Leute sehen einen alten Mann und glauben, er sei ein harmloser Narr, mit dem man spielen kann, ein Idiot, dessen Zeit und Würde ohne jede Bedeutung seien. Dass man ihn reinlegen kann. Doch alte Frauen haben da etwas ganz anderes zu erzählen, oder?»
    Iyengar ist eindeutig kein Narr. Das hat er zu verstehen gegeben. Er ahnt wahrscheinlich, dass Ousep ihm etwas verbirgt. Ousep fragt sich, ob er ihm, um voranzukommen, einfach die Wahrheit sagen soll.
    «Ich bin solch ein dummer alter Mann», sagt Iyengar. «Ich habe Blödsinn geredet. Wie alle dummen alten Männer. Sie sind aus einem bestimmten Grund hier. Sagen Sie, Ousep, was wollen Sie wissen?»
    Iyengar nimmt seine Visitenkarte von einem Stapel auf dem Tisch und gibt sie ihm. Ousep bleibt nichts anderes übrig, als ihm ebenfalls eine Visitenkarte zu geben. Der Arzt sieht sie sich an, aber nichts in seinem Gesicht deutet darauf hin, dass er sich an etwas erinnert, an einen Namen aus der Vergangenheit.
    «Ousep Chacko», sagt Iyengar. «Ja, Ousep Chacko, Chefreporter der UNI, was möchten Sie gerne wissen?»
    «Vielleicht können wir mit einem interessanten Fall anfangen, den Sie gerade bearbeiten.»
    «Interessant?»
    «Ein Fall, der Sie fasziniert hat?»
    «Ich weiß, was Sie meinen. Ein interessanter Fall. Da sind diese beiden Schwestern. Möchten Sie etwas über sie hören?»
    «Ja.»
    Iyengar blickt auf den leeren Stiftständer auf seinem Schreibtisch und sagt: «Die eine Schwester ist dreißig und die andere achtundzwanzig. Vor ein paar Wochen hat man sie fast tot in ihrer Wohnung gefunden. Der Milchmann hat sie gefunden. Wasseltsam ist. In solchen Fällen findet sie normalerweise das Dienstmädchen, stimmt’s Ousep? Das Dienstmädchen klopft an die Tür, keiner macht auf, sie schlägt das Fenster ein, späht in die Wohnung und sieht jemanden regungslos daliegen. So beginnen diese Geschichten doch meistens, Ousep?»
    «Das stimmt.»
    «Aber diese beiden Schwestern hatten kein Dienstmädchen. Also hat der Milchmann sie gefunden. Jeden Tag stellte er ihnen die Milch vor die Tür. Kein besonders aufmerksamer Typ. Er hat eine Woche gebraucht, bis ihm auffiel, dass die Milch, die er vor der Tür abgestellt hatte, immer noch dastand. Er beschloss, zu klopfen. Als niemand aufmachte, blickte er durchs Fenster und sah ein Bein auf dem Boden, hinter einem Schrank. Er brach die Haustür auf und ging in die Wohnung. Er fand die Mädchen, die auf dem Küchenboden lagen und etwas murmelten. Er alarmierte die Nachbarn, und die Mädchen wurden in eine Klinik gebracht. Die Ärzte sahen schnell, dass die Mädchen fast verhungert waren. Sie wurden durch Schläuche ernährt und dann ins Schizophreniezentrum verlegt, weil sie sagten, sie würden Stimmen hören. Wer Stimmen hört, kommt zu mir.
    Die Schwestern lebten allein. Der Vater war gestorben, als sie klein waren, und ihre Mutter hatte sich ein paar Monate zuvor mit Gift umgebracht, weil sie ihre Töchter nicht verheiraten konnte.
    Ich habe die Mädchen gefragt, warum sie fast verhungerten, obwohl sie doch offenbar genug Geld für Essen hatten. Sie sagten, sie hätten die Stimme ihrer Mutter gehört, die sie gewarnt habe, dass jemand ihr Essen vergifte, eine geheimnisvolle Hand vergifte ihr Essen und alles andere. Beide Mädchen hörten die Stimme, und die Stimme sagte zu beiden dasselbe.
    Ich konnte mir recht gut vorstellen, was mit ihnen los war, und was dann herauskam, erstaunte mich nicht besonders. Die ältereSchwester war schizophren. Die

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