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Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manu Joseph
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mehr genau. Ja, wir haben Gespräche geführt. Doch das ist schon eine Weile her.»
    «Aber an irgendwas erinnerst du dich doch sicher.»
    «Wir haben über vieles gesprochen, über Dinge, die andere Leute nicht interessieren. Wir haben über das Auge gesprochen, wie das Auge sieht.»
    «Und wie sieht das Auge?»
    «Was das Auge tatsächlich sieht, das Bild, wird auf der Rückseite der Netzhaut registriert, hinter dem Auge; was wir jedoch sehen, die sichtbare Welt, befindet sich vor uns. Wie ist das möglich? Warum ist das Sehen vor uns und nicht an der Augenrückseite wie ein Gedanke?»
    «Warum?»
    «Weil das, was wir sehen, vom Gehirn projiziert wird. Die Welt, die wir sehen, ist eine Projektion.»
    «Worüber habt ihr noch gesprochen?»
    «Was meinen Sie mit ‹worüber noch›»?
    «Ich meine, worüber habt ihr noch gesprochen.»
    «Über dies und das.»
    «Fällt dir etwas Konkretes ein? Wie das Auge.»
    «Wir haben über die Leiche gesprochen.»
    «Wer ist die Leiche?»
    «Die Leiche ist eine Leiche.»
    «Das verstehe ich nicht.»
    «Wenn Sie Psycho treffen würden, würden Sie alles verstehen.»
    «Wer ist Psycho?»
    Alpha lacht und wiederholt die Frage – «Wer ist Psycho?»
    «Ist Psycho ein Cartoonist?»
    Alpha sieht weg und lacht laut. «Psycho ist Psycho», sagt er. «Er war sehr oft mit Unni zusammen. Psycho ist anders als ich. Psycho führt Gespräche. Sehr lange Gespräche.»
    Er schreibt etwas auf einen Zettel und gibt ihn Ousep. «Anna Salai 4» steht dort zu lesen.
    «Ist das eine Adresse?», fragt Ousep.
    «Sie sind ein heller Kopf.»
    «Und was finde ich dort?»
    «Sie finden ein weißes, sechsstöckiges Gebäude. Gehen Sie in den dritten Stock. Im dritten Stock ist ein langer Korridor. Ganz am Ende des Korridors ist eine weiße Tür. Hinter dieser Tür sitzt Psycho.»
    «Was tut er dort, Alpha?»
    Alpha schüttelt lachend den Kopf. «Das werden Sie sehen, wenn Sie dort sind», sagt er.
    «Ist ‹Psycho› sein wirklicher Name? Heißt er tatsächlich so?»
    «Was ist an einem Namen wirklich?»
    «Wie heißt er, Alpha? Du weißt schon, was ich meine.»
    «Ja. Sein wirklicher, richtiger, tatsächlicher, absolut wahrer Name ist Psycho. Vor Psycho müssen Sie sich sehr in Acht nehmen. Er gehört zum Lager der Anti-Story-Erzähler.»
    «Weiß Psycho, warum Unni es getan hat?»
    «Sie haben mir nicht zugehört, Mr Chacko. Sie müssen sich sehr in Acht nehmen, wenn Sie Psycho treffen. Sie dürfen ihm nicht sagen, was Sie zu ihm führt. Sie müssen sich einen anderen Grund ausdenken und geschickt vorgehen. Der Mann ist sehr gefährlich.»
    «Weiß Psycho, warum Unni es getan hat?»
    «Ich glaube nicht, dass dieser Mistkerl irgendwas weiß. Aber er wird sie zur Leiche führen. Nur Psycho weiß, wer die Leiche ist.»
    «Wer ist die Leiche?»
    «Ich habe Ihnen doch gerade gesagt, dass nur Psycho das weiß. Ich habe die Leiche nie getroffen und weiß nur, dass Unni der Leiche sehr nahestand.»
    «Und was wird die Leiche mir sagen?»
    «Die Leiche wird Ihnen alles sagen, was Sie wissen wollen.»
    ~
    Obwohl Ousep keinerlei Zweifel hat, dass es sich bei dem, was er vor sich sieht, um die Adresse handelt, die Alpha ihm gegeben hat, muss er schwer schlucken. Das Gebäude ist weiß und hat sechs Stockwerke. Über der dunklen Höhlung des Portikus hängt ein riesiges Schild mit der Aufschrift «Institut für Neurowissenschaften».
    Im Wartebereich befinden sich höchstens zwanzig Leute, die alle gesund wirken. An der Aufnahme sind drei Frauen in gestärkten Baumwollsaris ins Gespräch vertieft. Sie reden über einen Mann, den sie nicht mögen. Hinter ihnen hängt eine Holztafel, die die Fachbereiche der einzelnen Stockwerke anzeigt. Dort heißt es, im dritten Stock seien die Tagesklinik und das Forschungszentrum für Schizophrenie.
    Ousep nimmt die Treppe. Er sagt, das sei gut fürs Herz. Hast du das gehört, Unni? Sogar Ousep Chacko will leben. Im dritten Stock ist ein langer, düsterer Korridor, den geschlossene, flussgrüne Türen flankieren. Am einen Ende des Korridors, das jetzt hinter Ousep liegt, befindet sich eine Schwermut ausstrahlende gelbe Wand. Das andere Ende ist dunkel, doch Ousep kann eine breite, weiße Tür erkennen. Im Korridor ist keiner, doch er kann Stimmen hören, die durch die Wände dringen, ein plötzliches Lachen, ein harter, zu Boden fallender Gegenstand, leise Unterhaltungen, bei denen bewusst nicht geflüstert wird. Während er den Korridor entlanggeht, öffnet sich eine Tür, und

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