Das verbotene Glück der anderen

Schizophrene in Madras zu schreiben. Sie beschließen, wie Sie gesagt haben, den Patriarchen zuerst zu treffen. Sie wissen jedoch nicht, wer ich bin. Offenbar haben Sie nicht recherchiert. Für einen erfahrenen Journalisten wie Sie ist das sehr seltsam. Verstehen Siemich nicht falsch, ich möchte Sie nicht in Verlegenheit bringen. Ich versuche nur, zu verstehen, in was für einer Situation wir uns befinden. Sie wollten Dr. Krishnamurty Iyengar treffen, haben aber keine Ahnung, wer das ist, welche Bedeutung er für seinen Berufsstand hat. Wenn ein Neurologe an mich denkt, wissen Sie, woran er dann denkt?»
    «Ich muss zugeben, dass meine Recherche mangelhaft ist.»
    «Oder Sie sind einfach in dieses Gebäude gelaufen, ohne besondere Erwartungen, und haben an die Tür geklopft. Aber warum?»
    «Das mag Ihnen so vorkommen, aber ich war auf der Suche nach Ihnen.»
    «Das glaube ich Ihnen, Ousep.»
    «Wenn ich Sie dadurch nicht beleidige, und es ist mir peinlich, Sie das zu fragen, aber können Sie mir sagen, wer Sie sind, Doktor?»
    Iyengar lacht wie ein Kind. «Natürlich, liebend gerne. Wollte ich darauf nicht hinaus? Meine Frau hat sich immer beklagt, dass wir nur über mich redeten. Eines Tages hat sie zu mir gesagt: ‹Lass uns in ein gutes Restaurant gehen und über dich, dich und dich reden.›»
    Iyengar lacht wieder und trinkt ein Glas Wasser, das auf dem Schreibtisch für ihn bereit steht. «Mein Leben lang habe ich den ‹Zweierwahn› zur Erforschung des Massenwahns verwendet», sagt er. Er spricht leise, ist nachdenklich und vielleicht stolz. «Das ist meine Rebellion. Das bin ich. Warum ist das wichtig? Die Gesellschaft der Neurowissenschaftler erkennt den Massenwahn nicht als psychische Störung an. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass die Gesellschaft der Neurowissenschaftler zwar zugeben würde, dass Gott augenscheinlich ein Fantasieprodukt menschlichen Wahns ist, dass jedoch diejenigen, die an Gott glauben, und das ist der Großteil der Menschheit, nicht alswahnhaft eingestuft werden können. Diese Haltung ist lächerlich. Vom Standpunkt der Neurowissenschaft betrachtet, ist geistige Gesundheit die Verfassung der Mehrheit, und Massenwahn ist kein Wahn, sondern nichts als die menschliche Natur. Damit bin ich nicht einverstanden. Ich war nie einverstanden. Behauptet wird damit, dass eine Pandemie, die die gesamte Menschheit erfasst, als normal zu betrachten und der gesunde Mensch eine Monstrosität ist. Das ist Blödsinn, und deshalb habe ich dafür gekämpft, dass der Massenwahn Bestandteil der Neuropsychiatrie wird. Aber ich bin gescheitert. Man hat mich verspottet. Und warum habe ich gekämpft, Ousep? Weil ich glaube, dass es die absolute geistige Gesundheit gibt, es gibt eine geistig völlig normale menschliche Verfassung, die jedoch nur bei einer Minderheit anzutreffen ist. Aus der Perspektive der Neurowissenschaft bedeutet das, dass geistige Gesundheit im Bereich des Wahnsinns angesiedelt ist. Irgendwo auf der Welt gibt es Menschen, die außergewöhnliche Geisteszustände haben und geistig außerordentlich gesund sind. Und die würde man als seltsam betrachten.»
    «Was ist das für ein Geisteszustand, Doktor?»
    «Ich weiß es nicht.»
    «Sie sind also noch nie jemandem begegnet, der geistig außergewöhnlich gesund ist?»
    Iyengar antwortet mit ausdruckslosem Gesicht: «Ein Neuropsychiater ist der Letzte, der so jemandem begegnet, oder, Ousep?»
    «Das stimmt.»
    «Doch die Neurowissenschaft erkennt an, dass der Wahn einer Gruppe eine Form von psychischer Labilität darstellt. Es gibt den Dreierwahn und den Viererwahn und sogar den Wahn der vielen, ein Ausdruck, der manchmal für die Massenhysterie pubertärer Mädchen an Schulen verwendet wird oder für Leute,die zusammen mit ihrem Meister auf den Kontakt mit Außerirdischen warten oder auf die Ankunft des Einen. Doch sie alle funktionieren nach demselben Grundprinzip wie der Zweierwahn. Normalerweise gibt es das Hauptagens, eine treibende Kraft, jemand, dessen starker Wahn an die anderen, die Nebenagenzien, weitergegeben wird, die sich dann gegenseitig in ihren Wahnvorstellungen bestätigen. Sie fangen an, Visionen zu haben, hören Dinge.»
    «Es herrscht also nie Gleichheit. Zwei Menschen im Zweierwahn sind dem Wahn nie auf dieselbe Weise verhaftet.»
    «Selten.»
    «Es gibt also immer einen Primären und einen Sekundären?»
    «Ja. Ein Hauptagens und ein Nebenagens.»
    «Alpha-Beta.»
    Iyengar nickt, trommelt mit den Fingern und fixiert Ousep