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Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manu Joseph
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bleibt völlig sachlich. «Dann bleibt Ihnen nicht viel Zeit», sagt er. «Haben Sie denn zumindest einen leisen Verdacht, was Unni angeht? Verfolgen sie bei Ihren Nachforschungen eine bestimmte Spur?»
    «Balki, warum bist du hier?»
    «Um Ihnen zu helfen.»
    «Dann hilf mir.»
    Balki blickt höchst konzentriert auf den Schreibtisch. Es dauerteine Weile, bis er die richtigen Worte findet. «Unni hatte ungeheure Ideen, gewaltige Vorstellungen. Er glaubte, um uns herum sei etwas im Gange. Haben Sie davon gehört? Das hat er der ganzen Klasse erzählt, er sagte, wenn wir genau hinsehen würden, würden wir erkennen, was los sei. Er glaubte, dass etwas Uraltes überlebt habe und mitten unter uns sei. Hat Ihnen das schon jemand gesagt?»
    «Was war denn seiner Meinung nach los?»
    «Ich weiß es nicht.»
    «War er denn von irgendeiner Idee besessen – dem Großen Erwachen, Alles-ist-Illusion und solchem Blödsinn? So was passiert manchmal, wenn man jung ist. Normalerweise kommt man aber wieder zur Besinnung.»
    «Ich glaube nicht, dass er solche Dinge meinte», sagt Balki.
    «Und warum nicht?»
    «Irgendwie habe ich das Gefühl, dass jemand, der die absolute Wahrheit gefunden hat, nicht zu meinem Bekanntenkreis zählt.»
    «Warum hat Unni nicht einfach gesagt, was ihn bedrückt hat?»
    «Ich weiß es nicht. Vermutlich konnte er es nicht erklären. Er hatte wohl nur den Verdacht, dass etwas im Gange war, wusste es aber nicht sicher. Eines Tages sah er dann etwas, und das bedeutete irgendwie, dass er sterben musste. Möglicherweise gibt es eine Verbindung zwischen der Ursache seines Todes und dem, was er wusste, was er entdeckt hatte. Ist das irgendwie einleuchtend?»
    «Nein.»
    «Mir leuchtet es auch nicht richtig ein.»
    «Balki, wir müssen hier nicht herumsitzen und austüfteln, warum Unni sich das Leben genommen hat. Das wäre nichts als Spekulation. Es geht darum, dass wir über ihn reden, und zwar, ohne auf etwas Bestimmtes hinauszuwollen.»
    Balki nickt und spielt mit dem marmornen Briefbeschwerer,der auf dem Schreibtisch liegt. Er sieht sich im Zimmer um, betrachtet das Bett, das hinter ihm steht, und das Bücherregal in der Ecke, in dem er wahrscheinlich nach einem Buch Ausschau hält, das er kennt. Aus irgendeinem Grund betrachtet er sogar den Deckenventilator. Als er endlich den Mund aufmacht, präsentiert er seine Erinnerungen an Unni schön chronologisch.
    Unni und Balki wurden im selben Jahr als Sechsjährige an der St. Ignatius Boy’s High School aufgenommen. Balki erinnert sich an Unni als einen Jungen, der in keiner Weise außergewöhnlich war. Er war mäßig begabt, und seine herausragende Intelligenz zeigte sich erst Jahre später. Balki dagegen war von Anfang an die kluge Ausnahme und hatte daher kaum Freunde. Sogar die Lehrer hassten ihn. Aber er hatte Unni, der den Arm um ihn legte und ihn an den Händen fasste, um ihn in die Spiele der anderen Jungen einzubeziehen. Als Unni acht war, erklärte er Balki, warum sie Freunde waren. Balki erinnert sich noch heute daran. Unni sagte nämlich, Balki erinnere ihn an seine Mutter. Und zwei Tage später erklärte er, ohne gefragt worden zu sein: «Meine Mutter ist nämlich auch sehr klug, aber sie spinnt ein bisschen.»
    Als Unni zehn war, stieß Unni etwas zu. Ousep hört das zum ersten Mal und ist sich nicht sicher, ob Unnis Mutter davon weiß. Mindestens zweimal hielt er sich während des Unterrichts den Kopf und krümmte sich vor Schmerz. Beide Male war er innerhalb von Sekunden wieder wie vorher. Und beide Male sagte er zu seinen Lehrern, er habe gespürt, wie sein Gehirn sich bewege, als nehme es in seinem Schädel eine neue Gestalt an. Dass keiner aus der Klasse Ousep davon erzählt hat, überrascht Balki nicht. «Es ist lange her, und die Merkfähigkeit der meisten Menschen ist nicht sehr ausgeprägt. Die meisten erinnern sich nur daran, was ihnen selbst widerfahren ist, nicht an die anderen um sie herum.»
    Zu ungefähr dieser Zeit kam es noch zu anderen Entwicklungen. Unni verbrachte immer mehr Zeit allein in einer Ecke der Spielwiese. Er saß wie hypnotisiert da, als betrachte er etwas Faszinierendes, das sich direkt vor ihm befand, und reagierte nicht, wenn man neben ihm stand und ihn beim Namen rief. Nur, wenn man ihn schüttelte, kam wieder Leben in ihn, und danach tat er so, als sei nichts gewesen. Er behauptete, er könne sich nicht erinnern, woran er gedacht oder was er in seiner Vorstellung gesehen hatte.
    Möglicherweise handelt es sich

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