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Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manu Joseph
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Söhne durchgefallen waren. Und als sie schließlich ins letzte Schuljahr kamen, waren sie von tiefer Melancholie erfüllt, die man in unvordenklicher Zeit, noch bevor ihre Erinnerung begann, in ihnen ausgesät hatte. Jetzt war es so weit, das bekamen sie überall in Madras zu hören. Es war so weit. Wenn sie in ein paar Monaten zu den zentralen Abschlussprüfungen und zur weltweit härtesten Aufnahmeprüfung für die Ingenieurschule antreten mussten, würde ihr Schicksal besiegelt. Alle Lehrer, sogar diejenigen, die Sprachen unterrichteten, sagten zu ihnen, sie stünden nun «am Kreuzweg ihres Lebens».
    Jeder Junge in der Klasse wurde völlig von seinen Lernmaterialien beherrscht, natürlich mit Ausnahme von Unni. Er verbrachte seine Freizeit damit, die Jungen zu porträtieren, die an ihren Schreibtischen vor dicken Wälzern in die Lösung von Probeaufgaben vertieft waren und auf ihren Seikorechnern tippten. Das taten sie fortwährend, selbst in den kurzen Unterrichtspausen und während der Mittagspause und zu Hause, bis spät in die Nacht und im Morgengrauen. Dass sie sich dabei ablenken ließen, war undenkbar. Doch eines Tages brachte Unni fast die ganze Klasse zehn Minuten lang zum Durchdrehen. Laut Balki reden die Jungen erst jetzt offen über den Vorfall, jedoch nur untereinander. Aber selbst jetzt versteht niemand ganz und gar, was genau passiert ist oder wie Unni es fertigbrachte, dass sich alle an dem Wahnsinn beteiligten.
    «Als es passierte, waren zweiunddreißig Jungen dabei», sagt Balki. «Alle sahen es, alle waren beteiligt, aber niemand kann es erklären. Hat Ihnen jemand von Simion Clark erzählt?»
    «Nein.»
    Balki fängt an, sich in seinem Sessel leicht hin und her zu wiegen. «Ich hab mir gedacht, dass Ihnen das keiner erzählt hat. Vielleicht wollten sie vor Unnis Vater nicht schlecht über Unni reden. Wie kleinkariert von ihnen, wie armselig. Vielleicht haben sie auch nur Angst. Sie wünschen sich immer noch, es wäre nie geschehen.»
    «Aber was ist denn geschehen?»
    Balki zieht den Briefbeschwerer in einem Kreis über den Schreibtisch. «Nehmen wir an, jemand will ein Verbrechen begehen», sagt der Junge, «er weiß aber, dass Zeugen zugegen sein werden – was macht er dann? Wie kann er das Verbrechen trotzdem begehen, auch wenn es Zeugen gibt?»
    «Na, wie?»
    «Indem er die Zeugen an dem Verbrechen beteiligt. Was passiert, wenn die Zeugen Komplizen sind? Sie werden schweigen. Genau auf diese Weise hat Unni manches Geheimnis mit ins Grab genommen. Und deshalb werden Sie nie erfahren, was er alles getan hat. Das ist wohl mit ein Grund, warum Ihnen niemand die Geschichte von Simion Clark erzählt hat.»
    ~
    Simion Clark war ein angloindischer Physiklehrer, dessen plötzliches Erscheinen auf den St.-Ignatius-Korridoren mit ihren billigen Zementfußböden denselben Zauber ausübte wie ein Rolls Royce, der durch eine enge Gasse von Madras fährt. Simion war schon damals eine lebende Legende. Er saß kerzengerade unter den dunkelhäutigen, gebeugten, bäurischen Typen im Lehrerzimmer und war viel größer als alle anderen in der Schule – so groß, dass diejenigen, die kleiner waren, neben ihm wie Zwergewirkten. Im Vergleich zu den anderen Lehrern, die als Kinder Hunger gelitten und dadurch Schaden genommen hatten, war er schlank und fit; sein makelloses Hemd steckte in maßgeschneiderten Hosen, während auf den Polyesterhemden seiner Kollegen an manchen Tagen Deltas von altem Schweiß zu sehen waren. Und Wörter wie «Mikrometerschraube», «Ptolemäus» oder «Relativität» sprach er aus, als hätte er sie selbst erfunden. Er spielte Gitarre und Klavier und lachte über das Harmonium. Und auf Schulfesten sang er immer ein trauriges spanisches Lied. Er verneigte sich vor den Lehrerinnen, obwohl sie aussahen wie seine Dienstmädchen. Doch er war voller finsterer Machenschaften. Den Jungen gegenüber verhielt er sich gnadenlos, selbst nach den Maßstäben der St.-Ignatius-Schule. Er ohrfeigte sie und schlug sie mit dem Rohrstock, er gab ihnen Stockschläge auf die Fußsohlen und versetzte ihnen dumpfe, widerhallende Schläge auf den gebeugten Rücken, und wenn sie weinten, bebte ein Lächeln in seinen Mundwinkeln.
    Unni war dreizehn, als Simion an die Schule kam und vom Rektor wie ein Paradestück in allen Klassen vorgeführt wurde. In Gegenwart des neuen, exotischen Lehrers sprach der Rektor plötzlich ein wirres, entstelltes Englisch.
    Simion begann, auf den Schulkorridoren entlangzugehen

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