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Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manu Joseph
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Nase zu. Er lässt den Jungen gegenüber von seinem Schreibtisch Platz nehmen, auf einem Sessel neben dem offenen Fenster, das ein Meer von Kokospalmenwipfeln rahmt sowie die Dachterrassen blauer, rosafarbener und weißer Einfamilienhäuser und in der Ferne den gelben Kirchturm der Fatima-Kirche. Er zündet sich zwei Zigaretten an, versucht, entspannt zu wirken, und schlägt sich sogar auf die Schenkel. Wahrscheinlich findet es der Junge lustig, dass jemand zwei Zigaretten auf einmal raucht, aber er sagt es nicht.
    Ousep fragt sich, was der Junge will. Niemand kommt ohne Motiv mit einer Geschichte nach Hause. Manchmal ist die Geschichte das Motiv. Ousep zeigt auf den Kirchturm. «Unni liegt auf dem Friedhof dieser Kirche.»
    «Ich weiß», sagt Balki, «ich war zweimal an seinem Grab.»
    «Warst du bei der Beerdigung?»
    «Eine ganze Woche lang wusste ich gar nicht, dass er nicht mehr lebt. Fast keiner von seinen Klassenkameraden wusste es.»
    «Wir haben ihn gleich am nächsten Tag beerdigt.»
    «Ich habe gehört, dass Sie seine Klassenkameraden wieder treffen, dass Sie mit ihnen sprechen.»
    «Ja.»
    «Die sind alle dumm», sagt Balki, als handele es sich um eine nicht weiter bemerkenswerte Tatsache.
    «Die meisten sind völlig doof. Fanden Sie nicht?»
    «Sie sind wie alle.»
    «Genau. Die meisten Leute sind doof. Kleinkarierte Tierchen, die ihre kleinkarierten Tierchendinger machen wollen. Unni war klug. Ich mochte ihn.»
    «Wart ihr Freunde?»
    «Ich weiß nicht», sagt Balki.
    «Was soll das heißen?»
    «Es heißt, dass ich es nicht weiß.»
    «Nach seinem Tod bin ich zu dir nach Hause gekommen», sagt Ousep. «Ich weiß noch, dass du völlig überrascht warst, als ich vor der Tür stand. Du warst wahrscheinlich nicht sehr glücklich über meinen Besuch.»
    «Ich war überrascht, nicht unglücklich. Ich war ein bisschen durcheinander, und mir war nicht klar, warum Sie mir Fragen über Unni stellten. Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass Unnis Tod kein Unfall war. Ich habe es von Ihnen erfahren. Sie haben es mir am Ende unserer Unterhaltung gesagt, als Sie fanden, dass ich nichts Brauchbares von mir gab. Ich erinnere mich noch an Ihre Worte. Sie sind in mein Gedächtnis eingegraben. ‹Unni ist gesprungen. Er wusste, was er tat.› Ich konnte es nicht glauben. Es ergab keinen Sinn. Nach unserem Gespräch traf ich mich mit ein paar Jungen aus meiner Klasse, und sie sagten dasselbe wie Sie. Vor zwei Tagen habe ich jemanden an der Bushaltestelle getroffen. Er hat mir gesagt, dass Sie Unnis Freunde jetzt wieder treffen, Sie sind …»
    «Es ist mir peinlich, dass ich dich unterbrechen muss, Balki, aber es ist wichtig. Unnis Mutter ist ziemlich neugierig. Wenn du unter der Tür durchspähst, kannst du sehen, dass sie direkt dahinter steht und das Ohr an die Tür presst. Ich meine das nicht metaphorisch, Balki. Sie steht wirklich dort und lauscht. Du hast eine laute, dröhnende Stimme, und wir wollen beide taktvoll sein. Weder mein Radio noch mein Kassettenrekorder funktionieren. Deshalb müssen wir leise sprechen.
    «Ich verstehe.»
    «Noch leiser.»
    «Geht es so?»
    «Warum willst du mit mir reden und nicht mit ihr?»
    «Einfach so. Weil ich mit Ihnen sprechen will und nicht mit ihr.»
    «Was hat Unni dir über seine Mutter erzählt?»
    «Eigentlich nicht besonders viel. Aber ich hatte das Gefühl, dass er sie sehr gernhatte.»
    «Dass er sie sehr gernhatte, ist nichts Besonderes.»
    «Ich wüsste gern», sagt Balki und leckt sich über die Lippen, «was Sie über Unni herausgefunden haben.»
    «Offen gestanden, gar nichts.»
    «Gar nichts?»
    «Überrascht dich das denn?»
    «Ich hab es mir gedacht. Aber warum stellen Sie jetzt wieder Nachforschungen an? Drei Jahre nach seinem Tod? Warum gerade jetzt?»
    «Ich bin nicht bei bester Gesundheit und lebe vielleicht nicht mehr lang. Deshalb will ich das einzige Rätsel, das mir etwas bedeutet, aufklären, bevor ich zu schwach dafür bin.»
    «Es heißt, Sie hätten etwas herausgefunden.»
    «Das ist mir auch zu Ohren gekommen.»
    Balki starrt Ousep leicht misstrauisch an. «Sind Sie irgendwie krank? Haben Sie eine unheilbare Krankheit?»
    «So einfach ist es nie. Ein Trinker kennt seinen Körper einigermaßen. Ein Großteil der Malayalam-Literatur hat davon gehandelt, bevor die Frauen anfingen, zu schreiben.»
    Ousep versucht, ein gekränktes Lächeln zustande zu bringen, in Vorwegnahme des Unbehagens, das Balkis Mitleid ihm bereiten würde, doch der Junge

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