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Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manu Joseph
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Erfahrungen. Mich hat er auch gefragt, und ich habe ihm gesagt, ich wüsste nichts zu erzählen. Daraufhin fragte er mich: ‹Hast du je ein Sexualverbrechen begangen?› Ich sagte nein. Er sah mich ungläubig an. Es war das einzige Mal, dass er dumm aussah. Hat er wirklich geglaubt, alle Schüler seien Vergewaltiger?»
    Als Unni alle Geständnisse gesammelt hatte, verwandelte er sie in wahre Geschichten, die er dann vom Lehrertisch aus vortrug. «Das war’s, das waren seine Geschichten.» Zwar gab er die Namen der Jungen nicht preis, doch seine Anspielungen waren überdeutlich. Er schilderte den Schauplatz und die beteiligten Figuren in allen Einzelheiten. «Es waren wahre Geschichten, Sexgeschichten», sagt Balki, «die die Jungen aus unserer Klasse erlebt haben. Da kam das düsterste Zeug heraus. Ich war völlig überrascht, dass die Jungen so was taten. Alle waren total fasziniert. Sie wurden süchtig nach den Geschichten und versuchten zu raten, um wen es sich handelte.» Manche baten Unni, ihre Geständnisse nicht zu enthüllen, die sie ihm natürlich gutgläubig erzählt hatten. Sie hatten Angst, erkannt zu werden. Doch Unni versicherte ihnen, dass sie überreagierten.
    «Seine erste Geschichte handelte von einem Jungen, den wir aufgrund der Schilderungen identifizieren konnten. Er hatte das Dienstmädchen im Schlaf belästigt. Sie beschwerte sich nicht, weil sie Angst hatte, gefeuert zu werden. Also belästigte er sie wieder. Manche Geschichten waren traurig und ärgerlich, andere waren lustig. Zum Beispiel die von dem Jungen, der immer die Schuluniform seiner Schwester um ein Kissen hüllte und dann loslegte. Ein anderer holte einen Granatapfel aus der Küche,bohrte ein Loch hinein, trieb es mit ihm und legte ihn danach zurück in die Küche.»
    «Gab es Geschichten, in denen Unni wahrscheinlich die Hauptfigur war?»
    «Nein.»
    Irgendwann während des letzten Schuljahrs hatte sich Balki von Unni distanziert. Er sagt das auf eine beschränkte Art, die nicht typisch für ihn ist, mit einem Anflug von lahmem Stolz auf seine Entscheidung, seine Disziplin – so, wie manche Leute, die wollen, dass man sie dazu beglückwünscht, sagen: «Ich esse kein Fleisch.»
    «Etwas war mit ihm», sagt Balki. «Ganz offensichtlich ging etwas in seinem Kopf vor sich. Und alles, was er sagte und tat, hatte irgendwie Auswirkungen auf mich. Bis zu den Abschlussexamina waren es nur noch ein paar Monate, deshalb hielt ich es für das Beste, mich von ihm fernzuhalten. Es war ihm im Grunde egal. Wahrscheinlich hat er es nicht mal gemerkt. Er war der Star, der geniale Typ.»
    Unni fühlte sich immer mehr zu dem schattenhaften Somen Pillai und dem unauffälligen Sai Shankaran hingezogen. Die drei flüsterten im Unterricht miteinander, man munkelte, sie würden sich jeden Abend bei Somen treffen, sie gingen zusammen aus und hatten ein geheimnisvolles Ziel. Sie hätten etwas spitzbekommen, hieß es. Ousep hat das schon viele Male gehört, in je anderen Formulierungen.
    Damit ist eine Frage beantwortet, die Ousep schon lange mit sich herumträgt. Warum sagen alle, Somen und Sai seien Unnis beste Freunde gewesen, während sie Balki überhaupt nicht erwähnen? Der Unni, an den sich alle erinnern, ist der siebzehnjährige Unni, aus dem keiner schlau wird, und wie sich herausstellt, war Balki zu der Zeit nicht mehr mit Unni zusammen.
    Balki tut Sai als einen Idioten ab, der dauernd unglücklich war, weil er Angst hatte, ein Idiot zu sein. «Sie kennen diesen Typus,der nicht mit einem Schach spielt, weil er Angst hat, sich eine Blöße zu geben? So einer ist Sai. Eigentlich sind die meisten Leute so, aber Sie wissen schon, was ich meine.»
    Somen Pillai dagegen ist komplizierter, als Ousep dachte. Er war mit sechs auf die St.-Ignatius-Schule gekommen, im selben Jahr wie Unni und Balki. Eine Ewigkeit lang, seine gesamte Kindheit hindurch, saß Somen ruhig auf seinem Platz, sprach nur ungern, tat nichts Denkwürdiges – er rannte nie, spielte nie, sang nie, tanzte nie, spielte nie in einem Theaterstück mit, und die Klassenarbeiten schaffte er mit knapper Not. In Schweigen und Unscheinbarkeit gehüllt, hopste er von einem Schuljahr ins nächste. In jeder Klasse und überall auf der Welt, wo sich Männer versammeln, gibt es einen Somen – den Stillen, von dem man nie weiß, was er denkt. Ganz gleich, wo er ist, aus dem Raum um sich herum macht er eine düstere Ecke. Dass Somen sich heraushielt, als die gesamte Klasse Simion Clark angriff,

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