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Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manu Joseph
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wozu? Sie haben ihn doch schon getroffen.»
    «Vielleicht will er jetzt ausführlicher mit mir sprechen.»
    «Wollen Sie ihn diesmal unter Druck setzen?»
    «Ich kann versuchen, ihn zu überzeugen.»
    «Damit würden Sie meine Identität verraten.»
    «Stimmt. Nur, dass derjenige ja schon weiß, was du getan hast.»
    Balki betrachtet den Kirchturm und versucht, eine Entscheidung zu treffen. Er braucht nicht lang und sagt: «Es war Sai.»
    «Danke, Balki. Nur noch eine Frage: Hat Unni je von einer Leiche gesprochen?»
    «Ja», sagt Balki, der immer noch voller Schuldgefühle ist. «Aber da hat er wohl nur herumgealbert.»
    Sein Geständnis geht ihm immer noch nach. Er will jetzt über nichts anderes reden. «Unni hatte so eine These», sagt er, «er war der Auffassung, dass jeder Mann, sogar ein normaler, anständiger Mann, mindestens einmal im Leben einer Frau geschadet hat oder ihr in Zukunft schaden wird. Aus irgendeinem Grund glaubte er das wirklich. Ich habe immer mit ihm gestritten und gesagt, solche Behauptungen seien einfach schwachsinnig. Ich glaube, er hat mich zu dieser Sache mit der Frau auf der Straße angestiftet, um mir seine These zu beweisen.»
    «Du brauchst nicht alles, was er je gesagt hat, so ernst zu nehmen.»
    «Aber er hat doch Recht behalten, oder?»
    «Kasteie dich nicht», sagt Ousep. «Männer sind nun mal so. Sie können nicht anders. Mehr ist es nicht. Mit der Zeit wirst du herausfinden, Balki, dass jeder Mann vor der wichtigen Wahl steht, ob er er selbst sein will oder ob er Frieden möchte.»
    ~
    Die achtzehn Frauen und der glattrasierte Erweckungsprediger knien in einem engen Kreis um das kleine goldene Kreuz. Sie heben die Hände hoch und singen «Lobe den Herrn». Die Frau, der die Wohnung gehört, singt am lautesten, und die anderen Frauen achten darauf, sie nicht zu übertönen. Mariamma Chacko will die Hände nicht heben, weil ihre Saribluse unter den Armen geflickt ist. Als ausgleichende Frömmigkeitsgeste hebt sie daher den Kopf hoch.
    An diesem Sonntag wird sie dem Gemeindepfarrer berichten, was sie in diesem Zimmer gesehen hat – um ihn weiter zu melken und auch, um erneut seine Befürchtung zu bestätigen, dass das Licht seiner Autorität neben dem viel schwungvolleren protestantischenErweckungsprediger an Leuchtkraft verliert. Und sie muss zugeben, dass seine Befürchtung nicht unberechtigt ist, denn dieser Tage geschieht mit der Frauenrunde aus Kodambakkam etwas Unheimliches. Die tägliche Messe stellt sie nicht mehr zufrieden, sie wollen nicht nur leise Kirchenlieder, Predigten und Gebetsgemurmel. Sie wollen das, was die jungen Halleluja-Erweckungsprediger ihnen zu bieten haben: Tanzen und Klatschen und Schreien. Und die Erweckungsprediger ziehen immer mehr Frauen in ihre Gemeinden.
    Der Erweckungsprediger, der an diesem Nachmittag bei ihnen weilt, ist berühmt, weil er Hunderte von Hindus aus einem Dorf zum Christentum bekehrt hat, indem er sie mit einem gesegneten weißen Pulver verblüffte, nach dessen Einnahme sich die Kranken besser fühlten. Die Wirkung von zerstoßenem Paracetamol auf ausgetrocknete, halb verhungerte Menschen ist erstaunlich. Unter seinem Bann versuchen nun auch die Katholikinnen von Kodambakkam, ihre Dienstboten und die Frauen aus den Slums sowie jeden, den sie treffen, zu bekehren.
    Wie kommt es, dass ein normaler Mann Frauen, die weitaus klüger sind als er, so in seinen Bann schlagen kann? Mariamma fragt sich, ob Unni letztlich nicht doch recht hatte. In einer von seinen Bibellaunen hatte er einmal zu ihr gesagt: «Wahrlich, ich sage dir, Mariamma, das grundlegende Merkmal einer Wahnvorstellung besteht darin, dass sie ansteckend ist. Jede Wahnvorstellung zielt nur darauf ab, sich auf andere Hirne zu übertragen. Auf diese Weise überlebt sie. Hingegen kann die Wahrheit, Mariamma Chacko, nie übertragen werden, sie kann nie von einem Gehirn zum anderen gelangen. Bewegung ist ausschließlich ein Merkmal des Wahns.»
    «Was für einen Unsinn du da redest, Unni. Meinst du, dass es nicht die Wahrheit sein kann, wenn zwei Menschen an dasselbe glauben?»
    «Ganz genau, Mariamma Chacko, du bist eine sehr kluge Frau.»
    «Es gibt also nur einen Einzigen auf der Welt, der die Wahrheit kennt, und das bist du?»
    «Wahrlich, ich sage dir, die Wahrheit ist nicht beständig. Sie ändert sich von Gehirn zu Gehirn. Die Wahrheit jedes Nervensystems ist einzigartig und lässt sich nicht übertragen. Sie kann nicht artikuliert, vermittelt, gesucht oder gefunden

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