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Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manu Joseph
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passt ins Bild. Er blieb auf seinem Platz sitzen, in seiner sicheren Ecke. Balki erinnert sich an kein einziges Gespräch während der zehn Jahre, in denen sie in dieselbe Klasse gingen, bei dem Somen auch nur kurz erwähnt worden wäre.
    «Aber er ist der Schlüssel», sagt Balki. «Nur Somen Pillai weiß, was Unni in den Monaten vor seinem Tod widerfuhr. Auf die Frage ‹warum hat Unni es getan› gibt es eine Antwort. Ich glaube, Somen Pillai weiß die Antwort.»
    «Und was ist mit Sai?»
    «Ich glaube, Unni und Somen haben ihn als Laufburschen benutzt. Sai weiß vielleicht mehr, als er verrät, aber er ist nicht wichtig. Somen Pillai dagegen kann Ihnen weiterhelfen.»
    «Ich kann ihn nirgends finden.»
    «Das habe ich gehört.»
    «Wo kann ich ihn treffen?»
    «Ich weiß es nicht.»
    Balki reibt sich die Augenbrauen und starrt eindringlich auf den Schreibtisch. Dann steht er unvermutet auf und sagt: «Ich muss los.» Doch er macht keine Anstalten, zu gehen, was seltsam ist. Er zieht eine Schnute und starrt Ousep an, der beschließt, nichts zu sagen, jedoch das Gefühl hat, dass er den Jungen nicht aus den Augen lassen darf. Während Balki mit sich ringt, kann Ousep nur warten.
    Schließlich fasst der Junge einen Entschluss.
    «Ich muss Ihnen etwas sagen», erklärt Balki.
    Ousep zeigt auf den Sessel, und der Junge lässt sich hineinfallen. Er sieht nervös aus, und sein Atem ist hörbar. Man sieht ihm jetzt an, wie jung er ist. «Ich muss es aus meinem Kopf kriegen. Ich vertraue Ihnen, warum, weiß ich auch nicht. Ich muss es Ihnen jetzt sagen, sonst sag ich es nie.»
    «Erzähl’s mir ruhig, Balki.»
    «Unni streifte nachts herum», sagt Balki, «er ging spätnachts los und kam erst im Morgengrauen wieder nach Hause. Sie wissen das vielleicht.»
    Ousep weiß es, hat jedoch erst lang nach Unnis Tod davon erfahren. Er tat es nur in manchen Nächten. Dann wartete er, bis sein Vater zu Hause war, stand seiner Mutter bei, bis sich sein Vater ausgetobt hatte und ins Bett fiel. Als Unni anfing, um Mitternacht oder im Morgengrauen aus dem Haus zu schlüpfen, muss er fünfzehn gewesen sein, in einem Alter, als er in vieler Hinsicht noch ein Kind war und so sensibel, dass ihn die Eigenarten seines Vaters traurig machten. Seine Mutter versuchte, ihn davon abzubringen, aber sie hatte keine Macht über ihn. Unni sei, sagte sie in anklagendem Ton, in der Stille der Nacht spazieren gegangen, um seinen Schmerz zu lindern, um weit weg von zu Hause von der Zukunft zu träumen und von seinem ganzen, vor ihm liegenden Leben. Das machte ihn glücklich. Doch mit der Zeit gefielen ihm seine nächtlichen Spaziergänge durch dieverlassenen Gassen immer besser: Die faden, angepassten Leute waren verschwunden, und man sah Gestalten, denen man tagsüber selten begegnete. Er erzählte seinen Freunden, was er sah: dass lange Zeit rein gar nichts geschah, dass sich nichts rührte, bis auf einmal schöne Eunuchen in prächtigen Brautsaris auftauchten und einzelne Frauen, die mit einem Lächeln auf den Lippen unterwegs waren. Dass er einmal von ein paar Polizisten befragt wurde, die, als er ihnen auf Englisch antwortete, plötzlich Respekt zeigten und anboten, ihn nach Hause zu fahren.
    «Ich hatte mir Unnis Geschichten über seine nächtlichen Ausflüge monatelang angehört», sagt Balki, «und wollte ihn unbedingt einmal begleiten. Jungen wie ich wuchsen in Madras auf, als seien sie Mädchen. Nach Anbruch der Dunkelheit durfte ich das Haus nicht mehr verlassen. Als meine Eltern eines Tages auf eine Hochzeit mussten und mich eine Woche allein zu Hause ließen, beschloss ich, nachts mit Unni umherzuziehen und mit eigenen Augen zu sehen, wovon er erzählt hatte. Ich nahm das Moped meines Vaters, eine TVS-50, und wir fuhren durch ganz Madras. Was wir taten, war gesetzeswidrig, aber die Bullen hielten uns nicht an. Mir wurde klar, dass spätnachts andere Regeln galten. Als wir gerade unter der Arcot-Road-Überführung durch eine dunkle Gasse fuhren, sahen wir etwas Seltsames. Eine Frau in rotem Sari lag auf dem Gehsteig. Ich wollte wissen, warum sie dort lag, hielt aber nicht an, sondern fuhr weiter geradeaus. Doch Unni bat mich, umzudrehen. Also fuhren wir zurück, parkten das Moped und gingen zu der Frau. Unni hockte sich ganz dicht neben sie und ich auch, und dann starrten wir sie nur an. Sie war jung und schlank, nicht besonders hübsch, aber auch nicht hässlich, und sie hatte eine Fahne. Wahrscheinlich hatte sie zu viel getrunken und war

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