Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
Runde. Und Lucretta sage ich Bescheid, dass es dir nicht gut geht.«
»Bleib nicht so lange aus.« Melisande gab ihren Widerstand auf.
»Bestimmt nicht«, versicherte Bellona mit einem Kuss.
Bellonas Runde ergab, dass alles in bester Ordnung war. Die Soldatinnen waren gut aufgelegt. Die Paarungsnacht war eine heilige Tradition für sie und die Schwestern. Jede Frau hier entstammte einer solchen Nacht. Dennoch waren die Kriegerinnen nicht ganz so ehrfürchtig wie die Schwestern. Jeden Monat gaben sie Wetten auf die »Bullen« ab, wobei sie einen Teil ihrer Verpflegung darauf setzten, wer seine Furche mehr als einmal beackern würde oder wer Glück hätte, es überhaupt zu schaffen.
Sie erzählten einander die gleichen anzüglichen Witze und Geschichten, die schon dreihundert Jahre in diesen Nächten kursierten, fügten ein paar neue hinzu und ließen Bellona bereitwillig daran teilhaben, als diese auf ihrer Runde vorbeikam. Die Kommandantin lachte, blieb aber nicht so lange wie sonst zum Scherzen bei ihren Kameradinnen.
In der Hoffnung, dass auch diese Paarungsnacht ohne Zwischenfall verstreichen würde, ging Bellona zum Andachtsraum und überbrachte Lucretta ihre Nachricht. Die Schwester verzog missbilligend den Mund und schnaubte leise. Nun blieb nur noch ein letzter Halt, ehe sie in ihr Quartier gehen konnte.
»Alles klar bei euch?«, fragte sie die Wachen an der Tür zu den Gemächern der Meisterin.
»Ja, Kommandantin«, erwiderte eine Frau. »Alles ruhig.«
Bellona blickte zu den Fenstern, die immer dunkel waren; die schweren Vorhänge blieben stets zugezogen. Wenn die Meisterin allein dort starb, würde niemand es erfahren. Aber vielleicht war sie dem Tode gar nicht so nahe, wie sie alle befürchteten. Melisande musste noch viel lernen, ehe sie die Aufgaben der Drachenmeisterin übernehmen konnte. Die gegenwärtige Meisterin hatte noch nicht einmal damit begonnen, sie zu lehren.
Die Kriegerin war immer noch nicht sicher, ob sie wirklich zum Pass reiten sollte. Beim Blick auf die dunklen Fenster fasste sie einen Entschluss. Die Strecke betrug etwa dreißig Meilen. Wenn sie unterwegs das Pferd wechselte, war das ein Tagesritt. Ein Tag dort, um die Verteidigung zu inspizieren und mehr darüber in Erfahrung zu bringen, wer unbedingt nach Seth gelangen wollte. Ein Tag für die Rückreise. Selbst wenn die Meisterin starb, hätte Bellona wenig zu tun. Dann musste man nur darauf achten, dass die traurige Nachricht sich nicht im ganzen Reich verbreitete, ehe die Schwestern bereit waren, sie bekannt zu geben. Soweit Bellona sich erinnern konnte, hatte die letzte Totenwache Wochen gedauert.
Nach dieser Entscheidung kehrte Bellona in ihr Quartier zurück. Es war dunkel und still im Gang und in den Schlafsälen. Da Bellona zu allen möglichen Zeiten auf den Beinen war, fand sie problemlos den Weg im mondhellen Zwielicht. Leise betrat sie ihr Zimmer.
Melisande lag auf dem Bett. Sie hatte sich nicht ausgezogen, weder das Kleid noch die Sandalen. Auch die langen, flachsblonden Haare hatte sie nicht gelöst. Durch das schmale Fenster fiel ein Strahl silbernen Mondlichts auf ihr Gesicht, das noch im Schlaf – dem Hafen aller Bedrängten – ihre Trauer und Sorge verriet. Auf ihrem Gesicht und Hals glitzerte der Schweiß. Es war erstickend warm im Zimmer.
Bellona zog ihrer Freundin die Sandalen und die weiße Robe aus. Dann goss sie kaltes Wasser in eine Schale, tauchte einen Schwamm hinein, drückte ihn aus und wusch Melisande mit langen, langsamen Bewegungen die Arme und die Brüste, das Gesicht und die Hände. Sie führte den Schwamm sehr sanft, um Melisande, die ein wenig erschauerte, nicht zu wecken. Vorsichtig löste Bellona den schweren, geflochtenen Knoten und bürstete die Haare aus, die bei Tag golden, im Mondlicht silberweiß schimmerten.
Anschließend breitete die Kommandantin eine Decke über Melisandes feuchten Körper, damit diese sich nicht erkältete. Sie beugte sich vor und küsste die Freundin auf Stirn, Lider und Mund. Melisande rührte sich nicht, doch die Spuren der Erschöpfung hatten sich gelegt, und ihr Körper entspannte sich allmählich. Jetzt ruhte sie in tiefem, friedlichem Schlaf. Irgendwo in der Nacht stieß eine Frau ein gesättigtes, schläfriges Lachen aus, in das eine tiefere Männerstimme einfiel. In weiter Ferne grollte ein Gewitter. Vor Tagesanbruch würde Regen einsetzen.
Bellona legte sich ebenfalls hin und legte einen Arm schützend über Melisande, um das Mondlicht
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