Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
jeder mit seiner Partnerin eingeschlossen wurde. In jedem Zimmer standen Speisen und Wein bereit, die großzügig mit Tränken und Gewürzen versehen waren, welche Hemmungen lösten und die männliche Potenz stärkten. An beiden Enden des Gangs waren Wachen postiert, und dann ließ man der Natur ihren Lauf. Schon bald würde Kichern und tieferes Gelächter die Nachtluft erfüllen, um später Grunzen, Seufzen, Schmerzensschreien oder Lauten der Lust zu weichen.
Melisande hätte mit den anderen Schwestern beten sollen, doch sie hatte das dringende Bedürfnis, mit Bellona zu sprechen. In all den Jahren hatte es kaum einmal einen Zwischenfall gegeben, der die Paarungsnacht gestört hätte, und immer hatten die Kriegerinnen den Vorfall rasch und im Stillen beigelegt. Doch solange sich Männer im Kloster aufhielten, würden Bellona und ihre Gefährtinnen nicht zur Ruhe kommen.
Melisande schlüpfte in den duftenden Schatten eines Alkovens aus Büschen und Geißblattranken, wo sie auf Bellona wartete. Die Kommandantin vergewisserte sich noch, dass in den Paarungszimmern alles so war, wie es sein sollte. Kurz darauf öffnete sich die Tür, und Bellonas Silhouette zeichnete sich vor dem Fackellicht ab. Sie gab noch ein paar letzte Befehle, ehe sie die Tür schloss. Dann marschierte sie zügig über den Hof. Melisande sagte kein Wort. Das brauchte sie auch nicht. Sie standen einander so nahe, dass sie wusste, dass Bellona sie finden würde.
Bellona war nur wenige Schritte an Melisandes Versteck vorbeigelaufen, als sie stehen blieb, sich umdrehte und forschend in den Schatten starrte.
»Melisande? Ist alles in Ordnung?«
Melisande schüttelte den Kopf. Sie brachte keinen Ton heraus. Schon war Bellona an ihrer Seite.
»Du bist ja ganz kalt. Du frierst!« Sie zog ihre Freundin in die Arme. »Was ist los? Erzähl.«
»Ach, Bellona«, klagte Melisande und klammerte sich an ihre Geliebte. »Morgen sollen wir mit der Totenwache beginnen.«
Bellona flüsterte ein rasches Gebet und drückte Melisande fester an sich. »Ich kümmere mich um alles im Kloster. Du tust, was du tun musst, und denkst an nichts anderes.« Bellona zögerte. »Die letzte Totenwache ist dreißig Jahre her. Kaum eine unter uns ist so alt, dass sie sich erinnert, was alles getan werden muss. Hat sie es dir erklärt?«
»Ja«, versicherte Melisande. »Ich wollte es dir erzählen, aber ich dachte, ich könnte noch die Paarungsnacht abwarten. Ich habe nicht damit gerechnet, dass es so bald geschieht.«
»Jetzt habe ich Zeit zum Reden.«
»Aber ich muss zum Gebet!«
»Vergiss das Beten, Melisande«, antwortete Bellona forsch. »Niemand wird deine Stimme vermissen. Lucretta wird sehr zufrieden sein, wenn du fehlst und sie die anderen anleiten kann.«
»Und hinterher macht sie wieder höhnische Bemerkungen über mein Fehlen«, erinnerte Melisande sie mit schiefem Lächeln.
»Das wird sie nicht wagen«, flüsterte Bellona. »Nicht bei der neuen Meisterin.«
Melisande erschauerte. Sie schmiegte sich fester an Bellona.
Der süße Duft des Geißblatts erfüllte die warme Nacht. Durch die Stille wurde von der einen Seite das Gemurmel der Gebete herangetragen, von der anderen das Gekicher der Paare. Beide Seiten des Lebens, dachte Melisande, die spirituelle und die körperliche. Und über beiden schwebt die Hand des Todes.
»Wann hast du zuletzt gegessen?«, wollte Bellona wissen. »Oder geschlafen?«
»Ich weiß es nicht mehr. Schimpf nicht«, fügte Melisande müde hinzu. »Du weißt nicht, wie das ist. Ich halte ihre Hand, versuche, sie zu halten, aber jeden Moment entgleitet sie ein Stück weiter. Sie ist unsere Mutter, Bellona. Für die meisten von uns die einzige Mutter, die wir je gekannt haben.«
»Ich weiß, mein Schatz. Ich weiß. Aber es ist ihre Zeit. Wir alle müssen diese Erfahrung machen.«
»Da spricht die Kriegerin aus dir«, erwiderte Melisande bitter.
»Aber es ist wahr, Liebste. Wir Kriegerinnen weihen uns dem Tod, und deshalb können wir ihn vielleicht leichter annehmen. Eine Kriegerin stirbt schnell und sauber, darum beten wir. Ein Sterben aus Altersschwäche, das sich so lange hinzieht, muss schwer zu ertragen sein. Ich wünschte, du wärest nicht mit ihr allein, Melisande. Du sperrst dich doch schon tagelang bei ihr ein. Du isst nicht. Du schläfst nicht. Du bist halb krank vor Müdigkeit. Kannst du sie nicht überreden, dass ein paar andere Schwestern dir bei dieser leidvollen Aufgabe beistehen dürfen?«
Melisande schüttelte den
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