Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
auf, entfernte sich ein Stückchen von Melisande und starrte zu den Sternen empor, als würde sie dort Hilfe suchen.
»Was ist denn?«, fragte Melisande mit einem Anflug von Furcht.
»Diese Fremden sind nicht die Einzigen, die ungewöhnliches Interesse an unserer Grenze zeigen. Ich wollte es dir nicht gerade jetzt sagen, sondern lieber abwarten …« Unentschlossen überlegte sie, ehe sie sich zu Melisande umdrehte. »Ein Drache hat es versucht. Nicht der, den du gesehen und vertrieben hast. Ein anderer.«
»Unmöglich.« Melisande fühlte sich gekränkt. »Ich hätte ihn im Auge bemerkt. Die Meisterin hätte ihn gesehen.«
»Du warst mit anderen Dingen beschäftigt«, erinnerte Bellona ihre Geliebte voller Zärtlichkeit. »Genau wie die Meisterin.«
Melisande ergriff Bellonas Hand. »Ich hätte ihn gesehen, ganz sicher!«
»Hast du aber nicht, Melisande«, beharrte Bellona leise. Sie strich die hellen Haarsträhnen zurück, die über das von Sorge und Kummer gezeichnete Antlitz gefallen waren. »Ich weiß nicht, was schief gegangen ist. Aber ein Drache versuchte einzudringen. Der Zauber hat ihn abgewehrt. Eine Grenzpatrouille sah das Licht und hörte die Explosion der geweckten Magie. Sie sind zu der Stelle geeilt und haben dort Brandspuren an den Felsen entdeckt, einen Erdrutsch und Blutflecken.«
»Ein Mensch …«, widersprach Melisande störrisch.
»Auf Menschen reagiert die Schranke nicht so heftig. Nur auf Drachen. Liebe Melisande.« Bellona zog die Priesterin an sich. »Du hast nicht versagt! Glaub das bloß nicht.«
»Oh, doch! Ich hätte ihn sehen müssen. Ohne unsere Gebete hätte der Drache es womöglich geschafft.«
Tränen stiegen ihr in die Augen und brannten in ihrer Kehle. Sie weinte nie. Nicht vor Bellona, vor niemandem. Wütend blinzelte Melisande die Tränen weg und presste die Lippen aufeinander, bis sie das schmerzhafte Anschwellen ihrer Kehle beherrschen konnte. Sie entwand sich Bellonas Armen und streifte die zärtlichen Hände ihrer Freundin ab.
»Du reitest zum Pass«, befahl Melisande. »Ich möchte, dass du dich persönlich um diese Sache kümmerst.«
»Aber die Totenwache!«
»Die Gemächer der Meisterin sind abgeriegelt. Niemand darf sie betreten oder auch nur in ihre Nähe kommen, bis … bis sie gegangen ist.«
»Außer dir.«
»Außer mir. Nzangia ist deine rechte Hand, Bellona. Das hast du mir oft genug erklärt. Überlass ihr das Kommando. Hier müssen nur die Wachen befehligt werden, und niemand würde es wagen, ihr nicht zu gehorchen.«
Bellona war immer noch nicht überzeugt. »Die Männer sind noch da.«
»Morgen früh sind sie weg. Du kannst sie noch hinausgeleiten und dann gehen. Kümmere du dich um unsere Verteidigung, Bellona. Die Meisterin hat uns versichert, dass wir Eindringlinge vertreiben können, wenn es nötig ist, aber das war es noch nie. Es würde mir besser gehen, wenn du dich persönlich vergewisserst, dass alles in Ordnung ist. Hier kannst du nichts tun. Wir können nur warten.«
»Unter einer Bedingung«, willigte Bellona ein. Sie nahm Melisandes Hände, führte sie an die Lippen und küsste sie. »Dass du die Nacht in unserem Bett verbringst.«
»Bellona, ich muss für den Erfolg der Paarungen beten«, erinnerte Melisande.
»Pah!«, schnaubte Bellona. »Entweder die Rammböcke durchbrechen die Schranken, oder sie ermatten und versagen, und wenn das geschieht, werden die Gebete von Lucretta und ihresgleichen sie auch nicht wieder straffen.«
»Bellona!«, tadelte Melisande schockiert. Aber ehe sie ihre Vorwürfe fortsetzen konnte, ging ihr auf, wie absurd es eigentlich war, für Unzucht zu beten, und sie begann zu kichern. Entsetzt schlug sie die Hände vor den Mund.
»Da siehst du, wozu du mich verleitest.«
»Vergiss die Gebete. Komm jetzt mit mir«, drängte Bellona und küsste ihre Geliebte auf Wange und Hals.
»Nein, ich darf nicht«, widersprach Melisande seufzend, während sie sich den Liebkosungen überließ.
Sie hielten einander eng umschlungen. Bellona schmiegte ihre Wange in das weiche, duftende Haar von Melisande, die sich ihrerseits den starken Armen und der sanften Berührung der Kriegerin überließ.
»Melisande«, flüsterte Bellona.
»Was?«, murmelte Melisande halb im Traum.
»Du bist eingeschlafen. Im Stehen. In meinen Armen.«
»Nein! Wirklich?« Melisande blinzelte und schüttelte sich.
Bellona warf ihr einen strengen Blick zu. »Du brauchst Schlaf, Melisande. Geh schon mal vor. Ich mache noch eine letzte
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