Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
auszusperren.
9
»Die Pferde lassen wir hier«, beschloss Drakonas und schlang die Zügel um einen Baumstamm. »Wir gehen zu Fuß weiter.«
Edwards Gesicht konnte er nicht sehen, weil er mit dem Rücken zu ihm stand, doch die raschen, geschickten Bewegungen des Königs verrieten, dass dieser sehr gespannt war, wie das Abenteuer weitergehen würde. Deshalb stand Edward schon bald neben Drakonas.
Die noch immer glühende, verbrannte Pinie stand ein Stück weiter auf einer Felsnase, die aus der Wand des Berges ragte. Sie hatten die Bergflanke im Mondlicht erklommen, doch der Hang war nicht besonders steil. Hier und dort standen ein paar Bäume. Das Donnern in der Ferne kündigte weiteren Regen an. Als sie sich ihrem Ziel näherten, ballten sich am Himmel schon wieder die Wolken, die Mond und Sterne verschluckten – und den Drachen Bran, der ebenso gespannt war wie Edward. Bran war derjenige von beiden, dem Drakonas am wenigsten traute.
Drakonas hatte keine Ahnung, wie der junge, impulsive Drache reagieren würde. Bisher hatte Bran seine Sache gut gemacht. Die Pinie in Brand zu setzen war ein genialer Einfall gewesen. Drakonas hoffte, dass Bran sich weiterhin rational und umsichtig verhalten würde, doch darauf konnte er sich nicht verlassen. Immerhin war Brans Motiv die Rache, und das war für Menschen wie für Drachen ein sehr gefährliches Gefühl.
Was Edward anging, fühlte Drakonas eher Bedauern. Es war eine unbestreitbare Tatsache, dass Seine Hoheit sich als Waldläufer ausgesprochen tölpelhaft anstellte. Sein Ausrutschen und Stolpern, das unterdrückte Fluchen, die trockenen Zweige, die unter seinen Stiefeln knackten, all das machte genug Lärm für sechs Könige.
»Ihr macht einen solchen Krach, dass wir auch gleich eine verdammte Kanone abfeuern könnten, um uns anzukündigen«, meinte Drakonas.
»Ihr habt gut reden«, gab Edward keuchend zurück. »Offenbar habt Ihr Augen wie eine Fledermaus. Ich bin in dieser verdammten Finsternis blind wie ein Maulwurf.«
Drakonas fühlte einen Anflug von Reue. Er vergaß so leicht, dass Menschen im Dunkeln viel weniger sahen als er mit seinen Drachenaugen.
»Setzt zuerst die Zehen auf, und rollt dann auf die Ferse zurück«, riet ihm Drakonas. »Dann lauft Ihr sicherer.«
»Ich laufe wie so ein gezierter Tanzmeister«, knurrte Edward, befolgte jedoch die Empfehlung. So gingen die beiden weiter. Zum Glück setzte nun wieder Regen ein, der ihre Schritte übertönte.
Sie stiegen hoch, bis sie sich direkt unterhalb der Felsnase mit der Pinie darauf befanden. Darunter sollte Bran zufolge der Eingang zur Höhle liegen, zu der ein einfacher Weg hinführte.
Maristara muss den Menschen einen leichten Zugang ermöglichen, dachte Drakonas. Er war sehr zufrieden damit, dass seine Theorie sich bewahrheitet hatte.
Sie standen unterhalb des Felsens und spähten nach oben. Es regnete nur leicht, doch das Wasser tropfte von der Klippe. Weiter oben grollte der Donner, und Blitze ließen die Wolkenbäuche blauweiß entflammen. Drakonas stand lauschend da. Er hielt sogar den Atem an. »Was ist denn?«, flüsterte Edward argwöhnisch.
»Stimmen«, erwiderte Drakonas. »Ich gehe mal nachsehen. Ihr nehmt meinen Stab.«
Er packte den Rand der Klippe und schwang sich mühelos hinauf. Dort legte er sich flach auf den Fels und achtete darauf, hinter den Überresten der Pinie verborgen zu bleiben. In dem nächtlichen Regen würde ihn zwar kein normaler Mensch entdecken, aber wer wusste schon, wozu ein Mensch fähig war, der mit Drachenmagie ausgestattet war?
Außerdem würden nicht nur Menschen nach ihm Ausschau halten.
Etwa zwanzig Schritte weiter lag der Eingang zur Höhle, ein langer, schmaler Einschnitt in den Berg. Davor hockte ein Soldat auf einem Felsen, dem der Kopf auf die Brust gesunken war. Der Mann trug einen Mantel, einen Stahlhelm, eine Kettenrüstung und ein Schwert. Außer ihm war niemand zu sehen. Keine irren Mönche.
Der Soldat hatte unter einem vordachartigen Felsvorsprung über dem Höhleneingang Schutz vor dem Regen gesucht. Tagsüber würde der Schatten dieses Felsens den Eingang wirkungsvoll vor jedem zufälligen Blick verbergen. Drakonas hätte jahrelang danach suchen können, ohne ihn zu entdecken. Nur der Weg wies darauf hin, und den hätte Bran nie bemerkt, wenn Drakonas ihm nicht aufgetragen hätte, danach zu suchen.
Ein schmaler Streifen weißen Gesteins hob sich vom grauen Felsboden ab. Die Straße war nicht in den Stein getrieben, sondern hatte sich
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