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Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen

Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen

Titel: Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Weis
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langten.
    Der rotäugige Blick der Meisterin fixierte Melisandes Brust unter den Falten des nassen, schwarzen Stoffes, der vom panischen Hämmern ihres Herzens zitterte. In ihrer Menschenhand hielt die Meisterin das Medaillon, das sie hypnotisierend hin und her pendeln ließ.
    »Das Alter hat auch seine guten Seiten«, erklärte die Meisterin, die sich noch immer näherte. Mit nun wieder sanfter Stimme lullte sie ihr Opfer ein. »Seit dreißig Jahren herrsche ich in diesem Körper. Er hat mir gute Dienste geleistet. Aber nun wird er schwach und ich mit ihm. Ich brauche Jugend, Leben, neues Blut. Dein Blut, Melisande. Dein lebendes, klopfendes Herz. Die Meisterin stirbt – lang lebe die Meisterin. Nur wirst du nicht sterben, Melisande. Du lebst in diesem Sarg hier, zwischen Leben und Tod, denn du lebst in mir weiter. Beziehungsweise, um genauer zu sein, ich lebe in dir weiter.«
    Mit einem Fingerschnippen öffnete sie das Medaillon. Darin befand sich ein pochendes Herz, das Herz der alten Frau, deren Körper im Steinsarg gefangen lag. Es war sehr klein, auf magische Weise geschrumpft, damit es in das Medaillon passte, aber dennoch zuckte und vibrierte es vor Leben. Als die Meisterin direkt neben Melisande stand, die ihre vor Panik geweiteten Augen nicht von der Klauenhand abwenden konnte, kippte sie das Herz aus dem Medaillon in die blutige Höhlung, der sie es einst entrissen hatte.
    Die Frau dort unten keuchte vor Qual, dann stieß sie einen erschauernden Seufzer aus. Es war ein Seufzer der Erleichterung, mit dem sie den Tod willkommen hieß. Nach einem Blick auf Melisande, in dem sich Mitleid und Verzweiflung spiegelten, erstarrte sie. Die geballten Fäuste entspannten sich, ihr Blick wurde leer. Schon hörte das Herz auf zu schlagen, und sie lag ganz still.
    Während Melisande entgeistert in den Sarkophag starrte, sah sie nun dort sich selbst, sah ihren eigenen Körper in endlosen Qualen und unerträglicher Dunkelheit dort ruhen, Jahr für Jahr gefangen. Sie würde alles wahrnehmen, was um sie herum geschah, den Stimmen der Schwestern lauschen, vielleicht gar Bellonas geliebter Stimme, ohne nach ihr rufen zu können, ohne sie berühren zu können und ihr die Wahrheit mitzuteilen.
    Die Meisterin war tot, und mit ihrem Tod starb der Körper, den der Drache so lange Jahre benutzt hatte. Maristara verließ den verbrauchten Leichnam und nahm wieder ihre eigene Gestalt an.
    Die Erinnerung an Bellona riss Melisande aus der Lethargie der Panik.
    »Wenn ich schon sterben muss«, beschloss sie, »dann so, dass Bellona stolz auf mich ist. Nicht auf diese Weise, nicht als Gefangene. Ich will als Kriegerin sterben.«
    Die Priesterin lenkte den Blick von dem gemarterten Leib der Meisterin zu der alten Frau, die sie für die Meisterin gehalten hatte.
    Ihr Gegenüber war mitten in der Verwandlung, denn es veränderte seine Gestalt, warf den menschlichen Körper ab wie eine Zikade ihren vertrockneten, alten Panzer. Die alte Frau wurde zum Drachen. Schon waren beide Hände voller scharfer Krallen und von graugrünen Schuppen überzogen. Der Hals wurde länger, streckte und wand sich aus den Menschenschultern. Aus ihrem Rücken sprossen Flügel, die sich entfalteten und das Licht der Kohlebecken aussperrten. Die Beine verdickten sich und bogen sich nach innen, um den schimmernden Körper tragen zu können, der ins Riesenhafte wuchs. Der Schwanz ringelte sich zusammen und reckte sich wieder. Erwartungsvoll peitschte er hin und her. Auch das Gesicht der Meisterin verzog sich zu dem eines Ungeheuers. Schon leuchteten rote Augen aus grünen Augenhöhlen. Die Nase wuchs, die Zähne wurden lang und spitz, und die lange Zunge spaltete sich.
    Melisande begriff nicht, was vor sich ging. Ihr Verstand weigerte sich, die Wahrheit zu begreifen, die unmittelbar vor ihren Augen stand, doch auf das Verstehen kam es gar nicht an.
    Vor ihr lauerte ein Drache, ihr Feind, der Feind, gegen den man sie zu kämpfen gelehrt hatte, seit sie denken konnte, seit sie als kleines Mädchen die Drachenbilder auf den Fresken des Klosters betrachtet hatte.
    Der Drache war noch immer nicht vollständig, denn er wand sich nach wie vor aus dem Menschenkörper, in dem er sich verborgen hatte. Die roten Augen, die an Melisandes starkem, jungem Körper hingen, glitzerten vor Vorfreude. Der Drache hob seine Klaue, streckte sie aus, langte über den Sarkophag mit dem Leichnam darin und wollte Melisandes Körper aufschlitzen. Er würde seine Klauen in ihre Brust schlagen,

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