Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
ein Drache, aber noch immer nicht ganz. Er roch noch keinen Schwefel und hörte keine Flammen in ihrem Bauch rumoren. Das Feuer musste erst noch entzündet werden, der Atem sich aufheizen. Dennoch war sie eine tödliche Gefahr. Ihre Zähne konnten ihn einfach durchbeißen und ihre Krallen Glied um Glied zerfetzen. Ein Zucken ihres Schwanzes, ein Schnappen, und er war tot.
Ihr Kopf schob sich noch näher heran. Sie redete weiter, denn sie wollte ihn mit einem Kaleidoskop wirbelnder Farben ablenken, ihn verwirren, bis er sich selbst vergaß und sie ihm ihren Blick aufzwingen konnte.
»Nun kennst du mein Geheimnis. Was sagst du dazu, Drakonas? Wie viele Tage musste das Parlament zaubern, bis du Menschengestalt annehmen konntest? Wie viele Minuten brauche ich dafür? Wie also wollt ihr mich aufhalten? Ihr könnt es nicht, Drakonas. Über mehrere hundert Jahre hinweg habe ich meine Verteidigung aufgebaut, während ihr geschlafen habt, die Mitglieder des Parlaments und du. Jetzt bin ich zu stark. Ihr könnt mich nicht besiegen. Was macht ihr jetzt? Nichts, denn es ist nichts mehr zu machen.«
Drakonas nahm einen Hauch Schwefel wahr. Die Schritte der Menschen waren kaum noch zu vernehmen.
»Deine Gedanken wuseln herum wie Tausendfüßler, Drakonas«, fuhr Maristara fort. Ihr Kopf schillerte, tauchte herunter und pendelte hin und her. Noch immer versuchten ihre Augen, seinen Blick festzuhalten, doch er wich ihr unablässig aus. Sie war so darauf versessen, in seine Gedanken einzudringen, wie sie die Brust der Frau begehrt hatte. Sie wollte seine Gedanken zerfetzen, wie sie der Frau das Herz herausgerissen hätte.
Da schnellte sie vor. Ihre Bewegung kam so rasch und unvorhergesehen, dass ihre langen Klauen Drakonas' Lederwams durchdrangen. Ein spontaner Sprung nach hinten rettete ihn. Er federte die Landung ab, sprang hoch und stieß dabei mit dem dicken Ende seines Stabs gegen die Höhlendecke, die sofort von seiner Magie durchzogen wurde.
Der Fels knackte. Schon bildeten sich lange Risse, und aus der Decke lösten sich die ersten Steinbrocken.
Drakonas drehte sich um und suchte das Weite. Hinter sich hörte er den Drachen fluchen. Es folgte ein donnerndes Krachen, denn nun gab die Decke nach. Das war die ganze Zeit die Schwachstelle seines Planes gewesen – dass er die Lösung möglicherweise nicht überlebte.
Doch seine Drachenkräfte verhalfen ihm zu einer unglaublichen Geschwindigkeit. Knapp vor den herunterbrechenden Trümmern war er in dem Tunnel. Die Splitter, die scharf wie Pfeilspitzen in sein Fleisch eindrangen, ignorierte er, doch der Gesteinsstaub nahm ihm fast den Atem.
Und schon entdeckte er ein Stück weiter die Menschen, die stehen geblieben waren und sich umsahen – dumm, wie Menschen nun einmal waren. Drakonas überrannte sie geradezu. Er schlang seine starken Arme um die beiden und warf sie auf den Boden, wo er sie mit seinem Körper abschirmte, während Steine, Erde und Trümmer um sie herabregneten.
Noch ehe der Staub sich gelegt hatte, war Drakonas schon wieder auf den Beinen.
»Aufstehen!«, befahl er.
Unter heftigem Husten setzte Edward sich auf.
»Habt Ihr den Drachen getötet?«, keuchte er.
»Nein«, erwiderte Drakonas knapp. »Hoch mit Euch, alle beide. Wir müssen in Bewegung bleiben.«
Edward spie Sand und Staub aus, während er in der Finsternis nach der Frau tastete. Besorgt beugte er sich über sie und nahm ihre Hand. Sie regte sich, hob den Kopf und fiel wieder zurück. Vorsichtig hob der König sie hoch und wiegte sie in seinen Armen.
»Sie kann nicht weiter, Drakonas. Sie ist zu schwach und verletzt.«
Drakonas warf seinen Stab auf den Boden und griff nach dem schlaffen Körper der Frau.
»Seid vorsichtig mit ihr«, mahnte Edward voller Beschützerinstinkt.
Sein Begleiter wusste, dass für so etwas keine Zeit blieb. Er warf die Frau über seine Schulter, so dass er ihre Beine festhalten konnte. Ihr Kopf und die Arme baumelten über seinen Rücken.
»Gebt mir meinen Stab«, forderte er.
»So könnt Ihr sie nicht tragen«, protestierte Edward, während er den Stab aufhob. »Sie ist doch keine …«
»Ich kann, und sie ist«, schnitt Drakonas ihm das Wort ab. Er eilte los. »Bleibt dicht hinter mir. Wenn Ihr mich verliert, seid Ihr auf Euch selbst gestellt. Ich komme Euch nicht holen.«
Hinter sich konnte er den Drachen in dem Geröll scharren hören, das hoffentlich den Zugang zur Höhle versperrte. Er hatte ihnen Zeit erkauft, aber nur wenige kostbare
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