Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
Rippen des Mönchs diesem in seine inneren Organe drangen. Nachdem er einen schlechten Geschmack verdrängt hatte, bückte er sich, um den Leichnam zu untersuchen. Die Knochen waren dünn wie Lärchennadeln. Der Kopf hätte zu einem Gerippe gehören können, so wenig Fleisch war daran.
Als er Schritte hinter sich hörte, sprang er auf, fuhr herum und wäre fast gegen Edward geprallt, der schwankend dastand, das Schwert in der Hand.
»Noch einer?«, bemerkte er und starrte den toten Mönch an.
»Wo ist die Frau?«, wollte Drakonas wissen.
Edward warf einen Blick zur Höhle, als enthielte diese den größten Schatz der Menschheitsgeschichte. »Da drin«, antwortete er mit weicherer Stimme.
»Ihr hättet sie nicht allein lassen sollen.« Drakonas schob ihn beiseite und eilte zur Höhle zurück.
»Ich habe Stimmen gehört und Flammen gesehen«, erwiderte Edward. »Ich dachte, Ihr brauchtet vielleicht Hilfe.«
»Brauche ich aber nicht«, stellte Drakonas mit einem abfälligen Blick auf den Mönch fest. »Ihr wart für die Frau verantwortlich. Wartet hier. Ich gehe sie holen.«
Der König klopfte ihm mit einem Finger auf die Schulter. Als Drakonas sich umdrehte, traf Edwards Faust ihn mit Wucht am Kinn. Der Schlag ließ Drakonas rückwärts taumeln, wenn auch nicht in die Knie gehen, wie Edward es eigentlich vorgehabt hatte.
»Sie hat einen Namen. Er lautet Melisande«, erklärte Edward.
Dann steckte der König sein Schwert ein und marschierte mit langen Schritten zur Höhle zurück. Drakonas wartete draußen, massierte sein schmerzendes Kinn und dachte darüber nach, wie sehr er Edward mittlerweile mochte.
Es war wirklich alles furchtbar schade.
16
Der plötzliche Verlust ihres Körpers hatte Maristara regelrecht schockiert. Anfangs war der Schock größer gewesen als ihr Zorn, denn die Ereignisse hatten sich überschlagen. Eben war sie noch dabei gewesen, der Menschenfrau das Herz aus dem Leib zu reißen, da brach auch schon die Höhle über ihr zusammen.
Drakonas, der Zweibeiner. Der überall seine Nase hineinsteckte.
Und Bran, dieser Hitzkopf.
Sie hatten das ausgeheckt. Der Sohn wäre besser zusammen mit seinem Vater umgekommen. Nun, alles zu seiner Zeit.
Inzwischen war Maristara wieder ruhig. Vorhin hatte die Durchkreuzung ihrer Pläne sie derart in Rage gebracht, dass sie beinahe den Kopf verloren hatte, so sehr hatte sie innerlich getobt.
Um ein Haar hätte sie ihre Magie eingesetzt, um den Felssturz zu sprengen, der die Höhle blockierte. Sie wollte ihnen nachsetzen, sie zur Strecke bringen wie lästiges Ungeziefer, ihr Feuer durch die Gänge blasen, sie mit giftigen Dämpfen ersticken und ihr armseliges Fleisch rösten.
Gerade noch rechtzeitig hatte sie davon abgelassen.
Man hätte die Explosion im ganzen Kloster und im halben Reich Seth bemerkt. Die Schwestern würden aufgeregt herumjammern, weinen und Antworten verlangen, nach Führung verlangen, ihre Meisterin um Hilfe anflehen …
… und dann würde keine Meisterin da sein. Nur der Leichnam einer ausgetrockneten alten Frau mit einem klaffenden Loch in der Brust.
Und ein Drache.
Maristara wandte sich von dem Geröllhaufen ab, drehte sich mühevoll in dem engen, kleinen Heiligtum um und dachte gründlich nach.
»Vorläufig lasse ich sie laufen, die Menschen und den Zweibeiner.« Sie sprach voller Hass von Drakonas. »Weit werden sie nicht kommen, dafür sorge ich schon. Aber zuerst brauche ich eine neue Drachenmeisterin. Welche soll ich wählen?«
Im Geiste ging sie die Schwestern durch, prüfte, wählte, verwarf. Dann kam die Eingebung.
»Melisandes Rivalin, natürlich«, dachte Maristara. »Die eignet sich hervorragend. Die Eifersucht und der Ehrgeiz vernebeln ihr die Sinne. Sie wird nichts hinterfragen.«
Der Drache blies die lodernden Torffeuer aus, kauerte sich in die Finsternis, behielt das Medaillon in einer Vorderklaue, fixierte die Tür und rief mit der matten, sterbenden Stimme der alten Meisterin leise: »Lucretta. Komm zu mir, Lucretta, ich brauche dich.«
Bellona erwachte, weil sie die Schritte an der Tür hörte. Als es klopfte, war sie bereits halb aus dem Bett.
»Kommandantin.«
»Ja, was ist?« Bellona flüsterte, denn sie wollte Melisande nicht wecken.
»Ein Ruf von den Gemächern der Meisterin. Sie brauchen dich dort. Es ist dringend.«
Draußen brach bereits der Morgen an. Graues Zwielicht erhellte den Raum. Bellona warf einen Blick aufs Bett, um zu sehen, ob Melisande schon wach war, doch das Bett war
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