Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
leer.
Mit einer Hand strich sie das Kissen glatt, auf dem noch der Abdruck von Melisandes geliebtem Kopf zu sehen war. »Es ist also so weit«, sagte sie sich. »Arme Meisterin. Aber sie hat ein langes Leben gehabt. Möge sie sich zu den Göttinnen gesellen, die über uns wachen und uns schützen.«
»Kommandantin!«
»Ich komme schon«, rief Bellona, stand auf und griff nach der weichen Tunika, die sie unter ihrer Rüstung trug.
»Tritt ein. Wir haben doch wohl keinen Ärger mit den Männern?«, fragte sie in scharfem Ton.
Eine junge Kriegerin öffnete die Tür und kam ins Zimmer. »Nein, Kommandantin. Die Wachen der Meisterin wollten dich sprechen.«
Bellona nickte seufzend. Ihr fiel ein, dass sie zum Pass hatte reiten wollen, um mehr über die seltsamen Fremden herauszufinden. Das würde sie natürlich verschieben. Melisande brauchte sie hier.
Die Meisterin lag im Sterben.
Bellona hatte gewusst, dass dieser Zeitpunkt kommen würde. Sie hatte geglaubt, darauf vorbereitet zu sein, aber nun war sie plötzlich todtraurig. Ihr Leben lang hatte sie nur diese Meisterin gekannt, die schon Bellonas Geburt überwacht hatte. Diese Frau hatte gesehen, wie aus dem Wildfang, der immer irgendwo eine Schramme hatte, eine Soldatin wurde, die sich durch ihre Kampfkunst und Tapferkeit auszeichnete. Diese Meisterin hatte sie auf ihren gegenwärtigen Rang befördert. Bald würde Melisande Meisterin sein, und Bellona freute sich für sie. Doch vorläufig weinte sie um die Sterbende.
»Es ist nicht leicht, Kommandantin, nicht wahr?«, meinte die junge Kriegerin leise.
»Ja, das stimmt.« Bellona riss sich aus ihren Gedanken. Sie hatte heute viel zu tun. Zuallererst waren die Männer aus dem Kloster zu geleiten. Sie durften nicht merken, dass etwas anders war als sonst. »Hilf mir mal mit der Rüstung.«
Während die Kriegerin den ziselierten Brustpanzer über der Tunika festschnallte, fragte sich Bellona, wieso sie den Ruf verschlafen hatte. Sie hatte einen tiefen Schlaf, aber eigentlich erwachte sie sofort beim kleinsten Geräusch. Wie konnte sie das drängende Klopfen an der Tür überhört haben, das Geflüster, während Melisande sich anzog.
»Ich habe alles verschlafen«, staunte Bellona. Sie ärgerte sich über sich selbst. »Ich hätte für Melisande da sein sollen, um sie wenigstens mit meinen Gebeten und meiner Liebe zu unterstützen.«
Als Bellona ins Freie trat, stieß sie auf eine Gruppe Soldatinnen, die sich vor dem Quartier leise unterhielten. Mit besorgten Mienen sahen sie zu Bellona hin. Beim Anblick der förmlichen Rüstung warfen sie einander sprechende Blicke zu. Einige schüttelten den Kopf, andere wendeten schnell das Gesicht ab. Eine fuhr mit der Hand an die Augen.
»Noch gibt es nichts Neues«, erklärte Bellona ihnen. »Geht ins Bett und schlaft. Ihr müsst ausgeruht sein.«
Die Soldatinnen befolgten den Befehl und verzogen sich in ihre Schlafsäle. Normalerweise waren sie nach dem Dienst zu frechen Scherzen aufgelegt und freuten sich auf eine herzhafte Mahlzeit und erholsamen Schlaf. Heute hingegen zeigten sie sich still und bedrückt.
»Du sagst uns aber Bescheid, Kommandantin«, rief die eine ihr noch nach.
Bellona hob nur die Hand, denn sie traute ihrer eigenen Stimme nicht. Dann lief sie weiter.
Die Truppe, welche die Männer aus dem Kloster eskortieren sollte, sammelte sich gerade unter Nzangia. Bellona nahm ihren Gruß entgegen und winkte sie zu sich.
»Ich muss die Männer dir überlassen. Man hat mich zur Meisterin gerufen«, teilte Bellona ihr gedämpft mit.
»Ich weiß. Ich war da, als der Ruf der Wachen kam. Glaubst du …?«
»Ich befürchte das Schlimmste«, antwortete Bellona finster. »Melisande wurde in der Nacht zu ihr gerufen. Sorgt dafür, dass die Männer bald hier weg sind. Keine soll mit ihnen sprechen. Und deine Soldatinnen dürfen nicht so traurige Gesichter machen. Die Männer sollen nicht mitbekommen, was hier vor sich geht, sonst weiß es noch vor dem Mittag die ganze Stadt. Wir brauchen Zeit, um uns vorzubereiten.«
Nzangia nickte. Sie verstand das Ausmaß dessen, was geschah. Dann zog sie mit ihrer Abteilung ab, und schon bald hörte Bellona, wie die Soldatinnen die Männer mit herrischer Stimme aufforderten, aufzustehen und sich anzukleiden. Es war Zeit zu gehen.
Ein kurzer Blick auf die Mauern zeigte Bellona, dass ihre Soldatinnen auf dem Posten waren. Äußerlich schien alles normal zu sein. Nur zwei Frauen fielen ihr auf, die stehen blieben und miteinander
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