Das verbotene Land 2 - Drachensohn
zu der Schwester auf.
Sie streichelte seine Schultern und sagte leise beschwörend: »Komm jetzt, mein Kind. Für deine Mutter kannst du nichts mehr tun. Bete für ihre Seele. Komm, ich bringe dich an einen sicheren Ort.«
»Sie ist nicht meine Mutter«, fluchte Nem. Er schüttelte die Hände der Nonne ab und wich vor ihr zurück.
»Geh weg«, fuhr er sie mit belegter, heiserer Stimme an. »Lass mich in Ruhe.«
Er humpelte zu Bellona hinüber und starrte auf sie herunter. Dann kniete er sich mühsam neben sie, um sie zu berühren.
»Mein Kind«, begann die Nonne mit nachsichtiger Stimme.
»Es kommt jemand«, warnte Grald, dessen Kopf herumgefahren war. Er spähte die Straße entlang. »Ich höre Pferde. Wir haben keine Zeit, den Jungen zu umgarnen. Runter von der Straße, alle!«
Die Nonne schob die Hände in ihren Habit und zog sich zurück, die übrigen Räuber ebenfalls. Grald streckte die Hände aus. Aus seinen Fingern entsprangen feine Lichtfäden, die auf den Jungen zurasten und sich zu einem Netz formten – ein brennendes, beißendes Netz, das seine Nerven lähmen und ihn wehrlos machen sollte.
Jetzt hielt Drakonas nicht länger an sich. Er sprang auf die Straße, stieß seinen Stab in das magische Netz und entriss es dem verblüfften Grald. In einem flammenden Bogen schleuderte Drakonas das Netz auf den Angreifer zurück. Der überraschte Drache, der mit dieser Einmischung nicht gerechnet hatte, konnte nicht mehr ausweichen. Die dichten, leuchtenden Fäden senkten sich über ihn. Sein Menschenkörper brach schreiend und zuckend zusammen.
Die Schwester machte den Mund auf. Drakonas hatte keine Ahnung, was sie sagen wollte, musste jedoch befürchten, dass es etwas Magisches war. Also zog er den Stab herum und versetzte ihr einen Schlag an den Kopf. Die Nonne sank in einem schwarzen Haufen zusammen.
Der letzte verbliebene Angreifer sprang auf Drakonas Rücken, um ihn zu würgen, doch Drakonas warf den Mann über den Kopf. Stöhnend landete er auf dem Weg. Drakonas verpasste ihm einen Tritt gegen die Schläfe.
»Das ist für Bellona«, sagte er finster dazu.
Er konnte die nahenden Reiter hören, die sich lachend unterhielten. Sie hatten es nicht eilig, aber trotz ihres gemächlichen Tempos würden sie bald da sein. Er durfte sich nicht hier erwischen lassen – mit einer Toten oder Sterbenden, einer bewusstlosen Nonne, einem verbrannten Dieb und einem Jungen, der halb Drache war.
Nem war Bellona nicht von der Seite gewichen. Er hatte sich nicht einmal umgesehen.
»Du kommst mit mir«, sagte Drakonas. Er nahm den Jungen an der Hand. »Jetzt gleich.«
Nem schaute hoch. Er erkannte seinen Retter wieder.
»Und Bellona?«, fragte er.
Drakonas musterte sie kurz. »Tut mir Leid. Ich kann nichts für sie tun.«
»Dann bleibe ich hier bei ihr«, beschloss Nem und kauerte sich auf den Boden.
Drakonas hatte keine Zeit zum Streiten. Er hob die Frau auf und fühlte dabei, wie Bellona in seinen Armen vor Schmerz erschauerte.
»Bleib bei mir«, befahl er Nem. »Und keinen Mucks!«
Der Junge nickte. Drakonas schlüpfte in den Wald zurück, wo er sich in den Büschen versteckte. Weil Bellona nun stöhnte, versetzte er sie mit einem geflüsterten Wort in einen tiefen Zauberschlaf. Nem legte ihr schützend eine Hand auf die Schulter und bezog neben Drakonas Stellung.
Zwei gut bewaffnete Ritter mit gut bewaffnetem Gefolge kamen die Straße entlanggetrabt. Angesichts der Leiche wieherte das eine Pferd und scheute. Die Ritter zückten sofort die Schwerter, saßen ab und kamen der Nonne zur Hilfe. Wütend verwünschten sie die Schurken, die es wagten, einer Schwester etwas anzutun.
»Was meinst du dazu?«, fragte der eine, der sich am Kinn kratzte, während sein Diener versuchte, die Schwester wiederzubeleben.
»Diebesgesindel«, antwortete sein Freund. »Sie haben die Nonne angegriffen, sie ausgeraubt und sich dann um die Beute gestritten.«
»Aber der hier ist zu Asche verbrannt, Herr«, bemerkte der Diener fassungslos.
»Das war der Zorn Gottes«, erklärte der Ritter feierlich. »Das sollte jedem eine Lehre sein.«
»Der Kerl atmet noch, Herr«, meldete einer der Bewaffneten, der sich über Grald beugte.
»Nun gut«, befand der Ritter. »Für diesen Riesen brauchen wir einen besonders stabilen Galgen. Fessele ihn gut, Reynard, und halte ihm dein Schwert an die Kehle.«
Drakonas, der immer noch zwischen den Bäumen kauerte, machte eine Geste in Richtung des Feldes, das von der Straße aus zu sehen war.
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