Das verbotene Land 3 - Drachenbruder
ihn in diese Verschwörung mit hineingezogen. Weil er ein Bauer war – grob, direkt und mit beschränktem Horizont.
Die ältere Maristara hatte eine brillante Theorie aufgestellt:
Wenn man Drachen und Menschen kreuzte, würden die daraus resultierenden Nachkommen wie Menschen aussehen, aber in der Lage sein, Drachenmagie zu verwenden. Anora erinnerte sich daran, wie schockiert sie anfangs auf den Vorschlag reagiert hatte, den Maristara ihr im Geheimen unterbreitet hatte. Sie war entschieden dagegen gewesen. Schließlich brach man damit nicht nur alle Gesetze der Drachen, sondern ein solches Vorhaben konnte sich für die Drachen auch als gefährlich erweisen. Menschen mit magischen Kräften erschaffen! Undenkbar! Als Maristara dennoch ein Menschenreich unterwarf, um dort ihre Experimente durchzuführen, hatte Anora geschworen, sie mit aller Macht zu bekämpfen.
Die Zeit verging. Der mangelnde Wille der Drachen, Entscheidungen zu treffen, machte jede Chance, Maristara aufzuhalten, zunichte. Die Zuchtversuche gingen weiter und verliefen besser, als Maristara zu hoffen gewagt hatte. Mit der Zeit hatte Anora leider einsehen müssen, dass Maristaras Sichtweise richtig war.
Diese Menschen mit Drachenmagie im Blut erwiesen sich als so mächtig, dass sie einfache Menschen einschüchterten. Damit waren sie perfekte Herrscher. Weil sie aber Drachenblut in den Adern hatten, ließen sie sich leicht von Drachen manipulieren. Die Drachen lenkten also die Halbmenschen, die wiederum über die Menschen regierten. In jeder Hinsicht perfekt.
Um das Zuchtprogramm mit den Menschenfrauen aus Seth in Gang zu bringen, brauchte Maristara einen männlichen Drachen. Einen Adligen wagte sie nicht darum zu bitten, denn sie wollte nicht, dass ihr Vorhaben aufflog. Darum wählte sie einen Drachen einfacher Herkunft, ein junges Männchen, aggressiv, ehrgeizig und grausam.
Sein Name war Grald.
Maristara lehrte Grald das Geheimnis, wie man einem lebenden Menschenkörper das Herz entriss, um es für sich selbst zu beanspruchen. Diese Technik erforderte weit weniger Vorbereitung und Zeit als der komplizierte Illusionszauber, der Drakonas in einen Menschen verwandelte. Im Gegensatz zu Maristara, die mit Hilfe der übernommenen Frauenkörper ihre wahre Gestalt verschleierte, besetzte Grald die Menschenkörper mitsamt ihrer Persönlichkeit, gab ihnen aber seinen eigenen Namen. Im Moment lebte er in seinem sechsten Menschen, dem bisher passendsten. Doch nun hatte er etwas noch Besseres gefunden und freute sich bereits auf den nächsten Körper – den seines eigenen Sohnes.
Doch bevor es so weit war, mussten Anora und Grald erst Drakonas töten, der mit aller Macht versuchte, ihre Pläne zu vereiteln.
»Ich glaube, du würdest es verstehen«, sprach Anora im Stillen zu Drakonas, der ihr auf der Schwelle des gegenüberliegenden Hauses den Rücken zuwandte. Er spitzte seinen Wanderstab zum Speer an. »Vielleicht würdest du dich sogar auf unsere Seite schlagen, aber sicher bin ich nicht. Du hast ein paar Menschen ins Herz geschlossen. Du hast Melisandes Kinder vor uns verborgen. Hätte Nem uns nicht um Hilfe angefleht, so hätten wir sie vielleicht nie entdeckt.«
»Lass das Gejammer, Anora. Er müsste längst tot sein.«
Gralds Farben drängten sich ihr so ungehobelt auf, dass die hochmütige Anora sich nicht einmal zu einer Antwort herabließ. Sie sah keine Veranlassung, sich vor einem Untertan zu rechtfertigen. Maristara hatte Grald zu viele Freiheiten eingeräumt. Sie sollte ihn auf seinen Platz verweisen.
»Wo bist du?«, fragte Anora mit kühlen Farben.
»In Sichtweite des Hauses. Mein Sohn hat mich hergerufen«, fügte Grald selbstgefällig hinzu. »Er hat seinen Bruder verraten, wie ich es dir prophezeit hatte. Nur um die Frau für sich zu gewinnen. Ganz der Vater«, grinste er.
»Ich traue ihm nicht«, sagte Anora. »Nem ist verschlagen – in mancher Hinsicht verschlagen wie ein Drache. Ich kenne ihn. Immerhin habe ich ihn wochenlang begleitet.«
»Umso besser für mich, wenn ich seinen Körper übernehme.«
Immerhin bekommst du dann ein Gehirn, dachte Anora, doch diesen bissigen Kommentar verbarg sie unter dem kalten Strom ihrer Farben. Es war leicht, etwas vor Grald zu verschleiern, denn der machte sich nie die Mühe, die Untertöne eines Gesprächs zu durchleuchten.
»Komm nicht näher«, warnte Anora. »Ich werde jeden Moment zuschlagen.«
»Pass auf, dass Nem nichts passiert«, erinnerte Grald sie. »Ich brauche seinen
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