Das verbotene Land 3 - Drachenbruder
sie holte eilig Luft. Natürlich musste sie vorsichtig vorgehen, wenn sie ihren Prinzen verführte. Schließlich hielt er sie für eine zarte, unberührte Jungfrau. Darum musste sie ihn in dem Glauben wiegen, dass er sie verführt hätte. Seit Evelina ihm an diesem Morgen begegnet war, träumte sie von Ihrer Königlichen Hoheit, Prinzessin Evelina, Gemahlin Seiner Königlichen Hoheit, Prinz Markus.
Allerdings wusste sie, dass eine Heirat schwierig zu arrangieren war. Dann eben seine Geliebte. Auch damit würde sie sich begnügen.
Die Vorstellung, Markus einzureden, sie sei die Tochter eines Barons, die Nem aus dem Schloss ihres Vaters verschleppt hatte, hatte Evelina bereits wieder verworfen. Sie war pragmatisch genug, um zu wissen, dass sie niemals als Adlige durchgehen würde. Schließlich konnte sie weder lesen noch schreiben, weder sticken noch die Laute schlagen. Ihre Hände waren nicht glatt und fein genug für eine Dame, die sich nie selbst hatte ankleiden, sich die Haare waschen oder ihren eigenen Nachttopf hatte schrubben müssen. Nur in den Liedern der Bänkelsänger heiratete ein Prinz das Bauernmädchen. Im richtigen Leben wurde das Bauernmädchen höchstens zur Mätresse. Es bekam ein schönes Haus in der Stadt, dazu Kleider und Schmuck. Dann erzog es die unehelichen Söhne des Prinzen, damit sie Äbte werden konnten.
Also entschied sich Evelina für Haus, Schmuck und Kind. Vielleicht nicht unbedingt in dieser Reihenfolge, denn Haus und Schmuck waren häufig die Folge eines solchen Kindes. Ihr Hauptziel war daher vorläufig, sich verführen zu lassen. Deshalb hatte sie auch darauf gedrängt, dass sie flussabwärts reisten, weiter von seiner Heimat fort. Je mehr Zeit sie zusammen verbrachten, desto besser. Aber er lehnte ihre Richtung ab, also musste sie zügig handeln.
Ihr Schluchzen verebbte zu Schluckauf. Zaghaft hob sie den Kopf. Die Tränen ließen ihre Augen schimmern, auch wenn die Lider noch rot waren. Das Boot schob sich über die Oberfläche des Wassers, auf dem Sonnenlicht glitzerte.
»Markus«, begann Evelina mit zitternder Stimme. »Ich weiß, dass ich nicht wie die wohlerzogenen Damen deines Standes bin, die du kennst. Mein Vater war ein Kaufmann aus Schönfeld. Der Gute! Er war ein anständiger, freundlicher Mann, nur nicht besonders praktisch veranlagt. Meine Mutter starb, als ich noch klein war. Danach gab es nur noch meinen Vater und mich. Es tut mir leid, dass ich deinen Bruder niedergestochen habe. Ich bin ein guter Mensch. Wirklich! Vater und ich sind jede Woche in die Kirche gegangen. Bloß … als ich Nem sah … da sah ich wieder, wie mein Vater da lag, verrenkt und tot …«
»Weine nicht, Evelina. Ich verstehe dich«, antwortete Markus. »Du wirst wieder ein Zuhause haben. Bei mir. Du hast mir das Leben gerettet. Dafür werden meine Eltern dich gern willkommen heißen.«
Wieder dieser höfliche Ton. Er wandte die Augen ab, um das Ufer nach Verfolgern abzusuchen. Verstimmt funkelte Evelina ihn an.
»Deine Eltern sollen mich nicht als Lebensretterin willkommen heißen«, schwor sie sich im Stillen. »Sie sollen in mir die Mutter ihres ersten Enkels begrüßen. Ob sie das mit offenen Armen tun oder mir die kalte Schulter zeigen, ist unwichtig. Ich bekomme dich, mein Lieber, und ich bekomme dein Kind, und beides werden sie nicht verhindern können!«
Dieser Gedanke heiterte sie auf. Evelina blieb noch reichlich Zeit, Markus für sich zu gewinnen. Das war ihr noch bei jedem Mann gelungen.
»Danke, Hoheit«, flüsterte sie. »Ich meine … Markus.«
Das Sonnenlicht fiel durch die überhängenden Äste und malte goldene Netze, die Evelinas Haare zum Glänzen brachten. Das Mädchen tupfte seine Augen mit kaltem Wasser ab. Es hatte das hübscheste Gesicht, das Markus je gesehen hatte. Sein Blick wanderte von Evelinas Gesicht zu den Blutflecken auf ihrem Mieder, dem Hemd, der Bluse und der weißen Haut ihres Halses. Vor wenigen Stunden waren diese Flecken noch frisch gewesen. Inzwischen waren sie verschmiert und zu hässlichem Rotbraun getrocknet. Blutspritzer. Nems Blut.
Evelina hatte ihn nicht umgebracht, aber das hatte sie vorgehabt. Markus zweifelte nicht daran. Dennoch hatte Nem den Zorn des Drachen riskiert, um sie zu befreien. Er hatte Markus beschworen, auf sie Acht zu geben. Vielleicht hatte er Schuldgefühle gehabt? Markus gegenüber hatte er die versuchte Vergewaltigung zugegeben. Aber ohne Nem wären sie jetzt beide tot oder zumindest in den Klauen von
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