Das verbotene Reich: Thriller (German Edition)
sich die Folgen denken.«
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Nachdenklich lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück.
Er hatte Cassiopeia seit über einem Monat nicht mehr gesehen. Seit zwei Wochen hatte er nicht mehr mit ihr gesprochen. Sie hatte gesagt, sie werde eine Reise unternehmen, hatte aber, typisch für sie, nichts Näheres erzählt. Ihre Beziehung konnte man kaum so nennen. Es war nur eine wechselseitige Anziehung, die sie beide stillschweigend anerkannten. Sonderbarerweise hatte Henrik Thorvaldsens Tod sie einander näher gebracht, und in den Wochen nach der Beerdigung ihres gemeinsamen Freundes hatten sie viel Zeit miteinander verbracht.
Sie war zäh, intelligent und mutig.
Aber Waterboarding?
Er bezweifelte, dass sie jemals etwas Vergleichbares erlebt hatte.
Sie so auf dem Bildschirm zu sehen hatte ihn tief aufgewühlt. Er begriff plötzlich, dass sein Leben nie wieder dasselbe sein würde, falls dieser Frau etwas zustieß.
Er musste sie finden.
Aber es gab ein Problem.
Der Wunsch zu überleben hatte sie offensichtlich zum Handeln gezwungen. Aber diesmal hatte sie vielleicht mehr abgebissen, als sie kauen konnte.
Sie hatte ihm nichts zum Aufbewahren übergeben.
Er hatte keine Ahnung, wovon sie oder ihr Folterer sprachen.
2
Chongqing, China
20.00 Uhr
Karl Tang setzte eine Miene auf, die nicht im Entferntesten erkennen ließ, was er dachte. Nach beinahe drei Jahrzehnten Übung beherrschte er diese Kunst vollkommen.
»Und warum sind Sie diesmal gekommen?«, fragte ihn die Ärztin. Sie war eine wenig geschmeidige Frau mit eiserner Mimik. Das glatte, schwarze Haar trug sie im proletarischen Stil kurz geschnitten.
»Ihre Wut auf mich hat sich nicht gelegt?«
»Ich empfinde keine Feindseligkeit gegen Sie, Herr Minister. Sie haben bei Ihrem letzten Besuch recht deutlich gemacht, dass Sie hier das Sagen haben, obgleich dies mein Krankenhaus ist.«
Er überging ihren beleidigenden Tonfall. »Und wie geht es unserem Patienten?«
Die Klinik für ansteckende Krankheiten, die am Stadtrand von Chongqing lag, versorgte annähernd zweitausend Patienten, die entweder an Tuberkulose oder an Hepatitis litten. Sie war eines von acht Instituten, die im ganzen Land verstreut lagen, jedes ein abschreckender Komplex aus grauem Backstein, der von grünen Zäunen umschlossen war. Hier konnten die Menschen mit ansteckenden Krankheiten sicher in Quarantäne gebracht werden. Aber die Sicherheitsmaßnahmen, die diese Kliniken umgaben, machten sie auch zum idealen Ort für die Unterbringung kranker Strafgefangener.
Wie Jin Zhao, der vor zehn Monaten eine Gehirnblutung erlitten hatte.
»Er liegt im Bett, genau wie vom Tag seiner Einlieferung an«, sagte die Ärztin. »Er klammert sich an sein Leben. Der Schaden ist riesig. Aber er wurde – wieder gemäß Ihrem Befehl – keiner Behandlung unterzogen.«
Er wusste, dass sie ihm seine Eingriffe in ihre Autorität verübelte. Verschwunden waren Maos gehorsame »Barfußärzte«, die, dem offiziellen Mythos zufolge, bereitwillig unter dem Volk gelebt und sich pflichtbewusst um die Kranken gekümmert hatten. Diese Frau war zwar die Klinikchefin, aber Tang war Nationaler Minister für Wissenschaft und Technik, Mitglied des Zentralkomitees, Vize-Parteigeneralsekretär und Vizepräsident der Volksrepublik China – er kam direkt nach dem Präsidenten und Parteigeneralsekretär.
»Wie ich letztes Mal deutlich gemacht habe, war das nicht mein eigener Befehl, sondern die Direktive des Zentralkomitees«, sagte er, »und dem schulden wir beide absoluten Gehorsam.«
Diese Worte sprach er nicht nur für die törichte Frau aus, sondern auch für die drei Mitglieder seines Stabs und die beiden Offiziere der Volksbefreiungsarmee, die hinter ihm standen. Beide Militärs trugen eine frische grüne Uniform, und auf den Mützen prangte der Rote Stern des Vaterlands. Einer von ihnen war mit Sicherheit ein Informant – der seine Erkenntnisse wahrscheinlich mehr als einem Wohltäter zutrug –, und so wollte Tang, dass jeder etwaige Bericht ihn im positivsten Licht erscheinen ließ.
»Bringen Sie uns zum Patienten«, befahl er ruhig.
Sie gingen durch Korridore, die salatgrün verputzt waren. Die rissigen Wände wurden von schwachen Neonleuchten erhellt. Der Boden war sauber, aber vom endlosen Aufwischen vergilbt. Krankenschwestern mit einem Mundschutz vor dem Gesicht kümmerten sich um Patienten in blauweiß gestreiften Schlafanzügen. Manche trugen auch braune Bademäntel, und alle
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