Das verdrehte Leben der Amélie, 3: Sommerliebe (German Edition)
Claude ist echt nett. Sie ist wirklich meine Lieblingslehrerin, sie und Schwester Rose. Und ich bin absolut in der Lage, meine Arbeit zu machen, ohne an … was anderes zu denken. Das geht viel leichter, als einem Lehrer zuzuhören.
9:03
Ich öffne mein Französischbuch.
9:05
Mein Fuß, mit dem ich die ganze Zeit gewippt habe, rutscht an der Wand lang und macht ein komisches Geräusch (ein Furzgeräusch, um genau zu sein) und alle Mädchen in der Klasse drehen sich zu mir um. Ich sage:
»Ähm … das war mein Fuß … an der Wand. So.«
Ich versuche, das Geräusch noch einmal zu machen, aber es geht nicht. Die meisten Mädchen wenden sich wieder ihren Büchern zu, aber einige kichern. Da sagt Madame Claude: »Meine Damen, Pupsen ist menschlich! Jetzt aber an die Arbeit.«
Wenn ich die Macht hätte, Leute mit den Augen in Brand zu stecken, so wie das Mädchen in dem Film Carrie , dann würde Madame Claude jetzt brennen. Leider habe ich diese Macht nicht. Dafür aber Schokolade, und davon genehmige ich mir jetzt ein großes Stück. Oh! Erleichterung pur!
Vermerk an mich selbst: Versuchen, meine unkontrollierten Gewaltfantasien einzuschränken.
Vermerk an mich selbst Nr. 2: Ganz einfach. Mjamm, mjamm. Nämlich mit Schokolade. In dem Film Carrie hätten sie dem Mädchen, das alle Leute angezündet hat, einfach nur Schokolade geben müssen. Pech, dass sie da nicht drauf gekommen sind. Sehr gute Lösung. Mjamm, mjamm. Keine Lust mehr, mjamm, mjamm, irgendjemanden anzuzünden, mjamm, mjamm, was auch immer er getan hat. Mjamm, mjamm.
18:00
Beim Abendessen.
Meine Mutter: »Wie war dein Tag?«
Ich: »Hmpf. Normal.«
Meine Mutter: »Ich hatte einen wirklich schönen Tag! Und weißt du was? Meine Kollegen im Büro kriegen so langsam mit, dass ich mit dem Chef zusammen bin.«
Ich: »Aha.«
Meine Mutter: »Vor allem seit deinem Besuch. Das spricht sich rum …«
Ich: »Aha.«
Meine Mutter: »Aber bei der Arbeit stellen wir nicht zur Schau, dass wir zusammen sind.«
Ich (in meinem Kopf): »Wäre schön, wenn das hier auch so wäre.«
Meine Mutter: »Möchtest du noch etwas Lasagne?«
Ich: »Mhm.«
Meine Mutter: »Also, du hast heute keine kleine Anekdote aus der Schule für mich?«
Ich: »Na ja, doch … eine. Mein Fuß ist an der Wand langgerutscht, es gab ein komisches Geräusch, und alle haben gedacht, ich hätte gefurzt.«
Meine Mutter: »HAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHA!«
Ich: »Ich will doch keine Lasagne mehr. Ich gehe in mein Zimmer.«
Meine Mutter: »Ach so? Warum denn?«
Ich: »Weil ich hier sonst gleich ein Feuer lege.«
19:10
Meine Mutter klopft an die Tür und öffnet, bevor ich »Herein« gesagt habe. Zum Glück bin ich mittlerweile ziemlich schnell darin, meine Schokolade zu verstecken.
Meine Mutter: »Ist alles in Ordnung, mein Floh?«
Ich (hebe den Daumen und lächle gezwungen): »Super!«
Meine Mutter: »Du kannst mit mir reden, wenn du willst.«
Ich: »Nicht nötig.«
Meine Mutter: »Aber … wirklich? Bist du sicher?«
Ich: »Ja, o.k.?«
Dienstag, 9. Mai
I ch habe gestern Abend (beim Schokoladeessen) beschlossen, die ganze Sache positiv zu sehen. Ich muss den Sommer bei meiner Großmutter Laflamme verbringen, weil meine Mutter beschlossen hat, mit ihrem neuen Freund nach Frankreich zu fahren und mich nicht mitzunehmen. Aber das ist gar nicht schlimm, weil ich so 1. einen anderen Teil Québecs besser kennenlerne und 2. mehr Zeit mit meiner Großmutter verbringen kann. (Vermerk an mich selbst: erfreulichere Gründe finden.) Immerhin hat meine Großmutter eingewilligt, dass ich Sybil mitbringe. Sie hatte allerdings auch keine Wahl. Ich habe meiner Mutter gesagt, dass ich ohne Sybil nirgendwohin gehe. Kommt gar nicht infrage, dass ich mich für zwei Monate von meinem Kätzchen trenne!
Erst wollte meine Mutter mich zu meinen Großeltern Charbonneau schicken, die jeden Sommer in ihrem Wohnwagen durchs Land fahren (ich hasse Camping!). Aber die wollten nicht, dass Sybil mitkommt. Ich ohne Sybil?!? Niemals! Also hat meine Mutter meine Großmutter Laflamme angerufen und die war einverstanden, dass meine Katze und ich den ganzen Sommer bei ihr bleiben (yes! Kein Camping!). Sie kann es kaum erwarten und ruft alle zwei Tage an, um mich zu fragen, was ich gerne essen will, was Sybil braucht usw. usw. Ich sage ihr (nicht genau in diesen Worten), sie soll mal relaxen, denn wenn sie jetzt schon anfängt einzukaufen, ist das Essen im Juli vergammelt, wenn ich komme. (Ich glaube, die
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