Das verhängnisvolle Experiment
wird ihm ganz gewiß nicht gefallen. »Das größte Handikap der Menschheit liegt in ihrer Herkunft begründet. Die Evolution des Menschen ist gekennzeichnet durch einen ständigen Kampf. Gegen die Natur, gegen tierische Feinde, gegen den Hunger und nicht zuletzt gegen sich selbst.
Zweimal mußte die Natur ansetzen, um das zu schaffen, was wir heute als das vollkommenste Wesen auf Erden bezeichnen. Die erste Versuchsreihe mußte abgebrochen werden, wußten Sie das? Abgebrochen aus objektiven Gründen. Weil sich die Psyche des Objektes nicht bewährte. Diese erste Reihe führte bis zum Homo sapiens neandertalensis, den man ursprünglich als eine Vorstufe des Neumenschen betrachtete. Aber diese Theorie hat sich als falsch erwiesen. Ein Verbindungsglied zwischen dem Neantertaler und dem Cromagnonmenschen war nicht aufzufinden. Weil es diese Verbindung nämlich nicht gab. Die Neandertaler starben vor rund fünfunddreißigtausend Jahren aus. Sie waren friedliche, ein bißchen zu meditativer Haltung neigende Wesen, richtig nette Kerle, aber genau das war die Ursache ihres Unterganges. Weil sie den brutalen Vorstößen der Cromagnons keinen ernsthaften Widerstand entgegenzusetzen vermochten, wurden sie innerhalb eines historisch sehr kurzen Zeitraums ausgerottet, was zur Folge hatte, daß zusammen mit ihnen einige Eigenschaften verschwanden, die uns, wie ich finde, heute ganz gut zu Gesicht stehen würden. So aber müssen wir uns nun mit den nicht gerade freundlichen, dafür aber um so durchsetzungskräftigeren Eigenschaften der Cromagnonrasse herumschlagen, mit tief in uns verwurzelten Verhaltensmustern, die uns arg zu schaffen machen. Aber immerhin wissen wir jetzt wenigstens…«
Sie hört diese Theorie nicht zum erstenmal, und sie kennt eine Menge Leute, die bereit wären, auf deren Richtigkeit einen Schwur zu leisten. Aber sie sieht auch die darin enthaltene Negation des Strebens nach Vollkommenheit. Brutalität als unausrottbarer Bestandteil der menschlichen Psyche, der Drang nach Herrschaft über den oder die anderen nicht als gesellschaftliche Größe, sondern durch innermenschliche Konstellationen angetrieben. Ein solcher Gedanke hat ihr noch nie behagt, und auch jetzt kann sie sich nicht damit abfinden.
»Eine solche Theorie birgt grundsätzliche Gefahren in sich«, sagt sie. »Weil sie sich aus im Grunde fatalistischen Komponenten zusammensetzt und weil sie die Humanität negiert. Wozu sollten wir uns um menschenwürdige Bedingungen und gesellschaftliche Rechte für alle bemühen, wenn die wichtigsten menschlichen Werte ohnehin nur auf der negativen Seite zu Buche schlagen? Wir sind vorprogrammiert, für die Ungerechtigkeiten in der Welt sind nicht die Menschen selbst verantwortlich, sondern die objektiven Bedingungen, unter denen sie das wurden, was sie heute sind und immer bleiben werden, Bestien. Das sind keine guten Aussichten, wenn Sie mich fragen.«
Haston blickt auf. In seinen Augen ist eine Spur von Wärme. »Sie sind noch klüger, als ich dachte«, sagt er anerkennend, und sie registriert mit Genugtuung, daß er sie nicht »Kindchen« nennt. »Da liegt in der Tat eines unserer wichtigsten Probleme. Die Gefahr der Konsolidierung gegenwärtiger Strukturen im gesellschaftlichen Bereich als gottgewollte und somit unüberwindliche Ordnung – oder aber als objektive Gesetzmäßigkeit, wie Sie das vielleicht nennen würden.
Aber das ist ja noch lange nicht alles. Die Situation der Menschheit ist gründlich verfahren, in eine Sackgasse geraten, die Entwicklung stagniert seit Jahren. Die beiden großen Lager sind wie zwei feindliche Nachbarn, die sich gegenseitig das Messer an die Kehle gesetzt haben. Keiner wagt eine Bewegung, weil er Angst hat, der andere könnte sie als einen Angriff auffassen. Ich muß das nicht präzisieren, Sie sind klug genug, diesen Vergleich zu verstehen.«
Obwohl sie den Kopf gesenkt hält und obwohl sie dabei ist, der Faszination seiner Worte zu erliegen, spürt sie, daß er sie beobachtet. Wahrscheinlich will er erfahren, wie sie auf sein Lob reagiert. Sie tut ihm den Gefallen und lächelt, aber sie blickt nicht auf dabei.
»Soweit, so gut. Oder besser, so schlecht«, fährt er fort. »Die Menschheit ist aus vielerlei Gründen am Ende. Die natürliche Umwelt ist einer künstlichen, notwendigerweise lebensfeindlichen, gewichen, die mit Hilfe der Technik immer schneller zu überbrückenden Entfernungen zwischen den Völkern haben zu einer totalen Vermischung des Genpools
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