Das verhängnisvolle Experiment
Hoffnung auf irgend etwas gelebt, hatte seine Wünsche und Hoffnungen stets über das Heute hinaus in die Zukunft gerichtet. Und wenn sich dann seine Hoffnung erfüllt hatte oder das Ereignis eingetreten war, dann war es nicht besser als das, was vorher gewesen war, dann waren seine Wünsche den Realitäten schon wieder ein Stück davongeeilt.
Vielleicht war es ein Grundzug seiner Psyche, daß er immer auf etwas wartete oder hoffte, daß er nie mit dem zufrieden war, was er erreicht hatte, daß die Wirklichkeit stets hinter seinen Wünschen einherhinkte.
Raumflieger! Welch ein Beruf! Der Traum eines jeden jungen Menschen, dem das Abenteuer und das Spiel mit den Kräften der ungebärdigen Natur etwas galten, der die Gefahr liebte und auch das Gefühl, an Außerordentlichem teilgehabt zu haben, der Traum all derer, die nicht bereit waren, natürliche Grenzen zu akzeptieren. Und was, wenn der Traum endlich in Erfüllung ging, wenn der Vorhang der Phantasie sich vor der Realität öffnete? Training und Entbehrungen, Arbeit und Belastung bis an die Grenzen der Fähigkeiten. Und dann? Hochstimmung zuerst, das Glücksgefühl, wenn man die Macht der eigenen Persönlichkeit spürte, und die Routine danach, der gleichförmige Dienst, erstarrt im Reglement, ein Auftrag wie der andere, was gestern noch als Heldentum gegolten hatte, das war heute die Norm. Wer gestern noch bewundert wurde, weil er mit lachendem Gesicht den Zubringer bestieg, um sich hinaus ins Orbit katapultieren zu lassen, den grüßten heute die heimkehrenden Piloten der Fernschiffe mit herablassender Freundlichkeit. Und wieder war der Abstand zwischen Wunsch und Wirklichkeit da, ein weiteres Mal.
Es war einerlei, was du tatest, stets spürtest du, daß du es hättest besser machen können, und immer, daß dich das Ergebnis nicht ganz befriedigte.
Damals, als er sich endlich entschlossen hatte, einer der ersten zu werden, die über einen allen nur denkbaren Bedingungen gewachsenen Körper verfügten, ein Auserwählter gewissermaßen, da hatte er neben der Angst und den Schmerzen auch eine Art Hochgefühl gespürt, da war etwas, das ihn vor allen anderen auszeichnen würde. Und er hatte sich geschworen, seine Möglichkeiten mit aller Konsequenz zu nutzen, alle Unannehmlichkeiten hatte er auf sich genommen. Die fremde Umgebung einer Welt, die er nicht begreifen konnte, das nachsichtige Lächeln der Ärzte und Schwestern, wenn er von seiner Heimat erzählte – etwas, was seine Stimme immer ein wenig zittern ließ –, die Furcht vor der neuen, ungewöhnlichen Existenz und die Angst, nicht Auserwählter zu werden, sondern Außenseiter, alles hatte er auf sich genommen.
Und nun? Wer oder was war er nun?
Ein Auserwählter? Ein Mensch von morgen? Jemand, der geschaffen worden war, der Menschheit das Überleben zu sichern?
Daran glaubte er längst nicht mehr. Es wäre falsch, würde er das, was da in ihm aufgestanden war, als Zweifel bezeichnen. Zweifel setzte immer mindestens zwei Möglichkeiten voraus. Dies war mehr. Es war die Gewißheit, daß er versagen würde, daß er nicht besser war als Lannert oder Moreaux oder Blossom. Daß er am Ende versagen mußte. Aus Gründen, die nicht bei ihm selbst lagen.
Wenn die Menschheit zu retten war, und daran zweifelte er nicht, dann würde sie das aus sich selbst heraus schaffen müssen, dann würde sie sich die dazu notwendigen Konstellationen und gesellschaftlichen Voraussetzungen selbst errichten müssen. Ihre Chancen, das zu erreichen, schienen ihm größer zu sein als die seinen, sie dabei zu unterstützen. Die Menschen waren nicht auf Wesen wie ihn angewiesen.
Vielleicht war das die letzte Hoffnung, die sich ihm zerschlug. Die schönste und größte war es auf alle Fälle gewesen. Und deshalb war diese Erkenntnis zugleich seine schmerzlichste Enttäuschung.
Schweigend ging er hinüber zu seiner Haltevorrichtung. Seine Schritte hallten dumpf auf dem Kabinenboden. Bevor er die Hände in die Schlaufen schob, blickte er nach rechts hinüber. Die Rasten an Lannerts Platz waren einen Spalt weit geöffnet, so, als erwarteten sie den sanften Druck, der sie veranlaßte, sich um die Gelenke zu schließen. Sie würden nun für immer geöffnet bleiben.
Er blendete ab und spürte, wie die Gedanken aus ihm hinausliefen in die unendliche Leere, aber da war auch nicht der geringste Anflug des Genusses, den ihm das Versinken der Welt um ihn her früher so häufig bereitet hatte.
19
PETER MANKOV, geboren in
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