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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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Brusthaaren zu ziehen. »Ich glaube, er will zu seiner Mutter. Er hat Hunger.«
    Hagdar nahm Dielan den Jungen ab, als der ihn an Tir weiterreichen wollte. »Ich will unseren neuen Jäger auch begrüßen.« Der große Mann legte den Jungen in die Mulde zwischen seinem breiten Brustkasten und seinem kräftigen Unterarm, und er schien sich dort wohl zu fühlen. Hagdar kitzelte ihn unter den Fußsohlen.
    »Ulv«, sagte er. »Ein passender Name für so einen kleinen Frischling. Was meinst du, Bran? Sollen wir ihm ein wenig Wintergebräu geben, damit seine Brusthaare besser wachsen?«
    Bran mochte Hagdars albernes Gerede nicht, aber als er aufstehen und zu Hagdar gehen wollte, hielt Tir ihn zurück. Das Kind stieß einen Laut aus, der wie Lachen klang, strampelte mit den Beinen und gluckste. Dann drehte es sich zu Hagdar und ließ einen dünnen Strahl an seinem Bauch herunterrieseln.
    Dielan zeigte auf Hagdar und prustete los. Der große Mann hielt den Jungen vor sich und sah an sich herunter. Als er begriff, was geschehen war, legte er den Kopf in den Nacken und brüllte vor Lachen.
    »Der Junge hat es faustdick hinter den Ohren«, wieherte Turvi, als Bran den Kleinen zurücknahm.
    Dielan hatte bereits einen Lappen geholt und wischte den Kleinen ab, während Bran ihn unter den Armen hielt.
    Danach setzte Bran sich wieder zu Tir. Sie hob die Decke an, und Bran legte das Kind auf ihre Brust. Tir strich Bran über den Bart. Sie war nicht zornig, wie Bran befürchtet hatte. Als Dielan Hagdar den Lappen in die Hand drückte, damit er sich abwischen konnte, kicherte sie wie ein kleines Mädchen.
    »Er weiß, was er will«, meinte Dielan. »Und dein Gebräu scheint er ganz offensichtlich nicht haben zu wollen, Hagdar. Da wirst du dich wohl noch ein paar Jahre gedulden müssen, bis Ulv für so etwas groß genug ist.« Er legte dem Arm um Brans Schulter. »Aber wir sind nicht gekommen, um über Getränke zu reden.«
    »Nein«, bestätigte Turvi. »Wir sind gekommen, um dir unsere Ehrerbietung zu überbringen, Bran.«
    »Und in noch größerem Maße dir, Tir.« Dielan nickte Tir und dem Kind zu. »Du sollst wissen, dass wir dich alle als eine der Unseren ansehen. Das haben wir immer getan.«
    »Immer.« Turvi hob einen zitternden Zeigefinger. »Und ihr sollt wissen, dass ich mich so lange wie nur möglich am Leben halten werde, damit ich erleben kann, wie Ulv sich auf seine erste Jagd begibt. Denn als Noj starb, ohne einen Sohn zu hinterlassen, habe ich mich darauf eingestellt zu warten. Und ich will nicht sterben, ehe ich nicht das neue Land gesehen habe, das Kragg deinem Mann in seinen Träumen gezeigt hat!«
    Bran spürte ihre Hand an seiner Seite. Er beugte sich zu ihr und strich mit den Fingern über ihre Wange.
    »Und jetzt lassen wir euch in Ruhe.« Der Einbeinige richtete sich mühsam auf und stützte sich auf die Krücke. »Komm, Dielan. Hagdar, hilf mir über den Querbalken.«
    Die Männer erhoben sich, und kurz darauf waren Bran und Tir wieder allein im Bugraum. Bran legte die Hand in den Nacken, weil die Klauen ihren Griff nicht lockern wollten. Tir sah ihn an. Sie wusste, dass er Schmerzen hatte. Aber das spielte keine Rolle. Selbst wenn sich unendlich viele Schmerzensklauen in seine Stirn bohren würden, nichts könnte ihm das Glück nehmen, das er gerade empfand.
     
    Turvi schob sich mühsam über den Landgang, der aus nicht mehr als einer breiten Planke bestand, die vom Floß zum Schiff hochgelegt worden war. Ein paar Fuß unter ihm rollte die Dünung zwischen dem von der Sonne gebleichten Schiffsrumpf und dem von Tang überzogenen Floß. Er hatte eine Sehne an der Krücke befestigt und trug sie wie einen Bogen auf dem Rücken, weil er beide Hände brauchte, um sich an der Planke hochzuziehen. Direkt unter ihm tauchten ein paar Kinlender aus dem Wasser auf, legten sich auf den Rücken und beobachteten ihn neugierig. Turvi biss die Zähne zusammen und zog sich noch eine Armlänge hinauf. Endlich bekam er die Reling zu fassen, stieß sich mit dem Bein ab und zog sich über das Geländer.
    »Die jungen Leute«, murmelte er, während er sich auf dem Deck aufrichtete. »Keine Geduld, wenig Verstand und…«
    Er musterte die Frauen, die an Deck saßen. Denn Frauen waren es, auch wenn sie nach Manannans Verwandlung eher Echsen ähnelten als Menschen. Sie saßen dicht gedrängt nebeneinander und nähten mit dünnen Knochennadeln an Fischhäuten. Turvi ließ die Krücke von der Schulter gleiten und humpelte über das Deck.

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