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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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wüsste er genau, wo er war, als ahnte er die Gefahr, die vor ihnen allen lag, und als hätte er nur wenig Zeit, erwachsen zu werden. In Fa Ton hatte sie vielen Frauen bei der Geburt geholfen, aber kaum ein Kind war wie Adharkach gewesen. Er war schon jetzt in der Lage, ihren Blick einzufangen. Er schaute zu dem Talglicht hoch, und sobald die Männer auf der anderen Seite des Vorhangs die Stimmen hoben, hörte er auf zu saugen, als ob er ihnen lauschte. Das stimmte alles mit den Zeichen überein, die sie bekommen hatte. Sie erinnerte sich an die Nacht in Cernunnos’ Turm. Damals war Bran noch ein Fremder für sie gewesen, und sie hatte Angst gehabt, als er sie auf die Steinfliesen legte. Aber bereits damals hatte sie etwas Besonderes an ihm wahrgenommen. Dieser Häuptling aus dem Norden trug etwas in sich, dass sie noch bei niemand anderem gespürt hatte. Er war der angekündigte Krieger, er war der Wanderer ohne Heimat. Wie ein Tier trug er die Träume seiner Götter in sich, ohne sie zu hinterfragen. Und als er sie zu seiner Frau machte, hatte sie Cernunnos’ Geist in ihm gespürt.
    Der Krieg hatte ihn von ihr fortgerissen, und als er schließlich nach Hause zurückkehrte, war etwas in ihm gestorben. Sie sah es ihm an. Der Schmerz quälte ihn heute heftiger als damals, und wenn es ganz schlimm war, machte er ihn blind. Aber Bran trotzte all dem, er führte sein Volk aufs Meer und durch den Sturmrand.
    Sie küsste den Jungen auf den Kopf. Er war ein sturmgeborenes Kind. Die blutrote See hatte ihn auf die Welt geführt. Der Vollmond hatte über sie gewacht und sein silbernes Licht durch die Luke geworfen. Und Bran hatte ihn an Deck getragen und ihn seinem Volk und einer Welt gezeigt, die keiner von ihnen kannte.
    »Adharkach«, flüsterte sie. »Der, der Hörner trägt.« Das war sein von den Göttern gegebener Name. Das war der Name, den ihre Träume ihr genannt hatten. Aber die anderen sollten ihn Ulv nennen. Wie sein Vater sollte er später einmal in den Bergen jagen.
    Da hörte sie Brans tiefe, ruhige Stimme. Gleich darauf landeten zwei Füße in dem Sandgraben am Fuß der Leiter. Hagdar lachte und Virgas helle Stimme fragte nach dem Essen. Die Männer wechselten noch ein paar Worte und dann knarrten die Holzbohlen neben den Ruderbänken. Bran schlug den Vorhang zur Seite und trat über den Querbalken. Er war barfüßig und trug nichts außer seiner alten, zerschlissenen kurzen Lederhose. Aus seinem Haar tropfte Wasser. Er balancierte zwei Schalen mit dampfender Suppe in den Händen und stellte sie vor ihr zu Boden. Tir richtete sich auf, worauf Bran das Fell hinter ihrem Rücken richtete, damit sie aufrecht sitzen konnte. Eine Weile sahen die beiden sich einfach nur an, ohne etwas zu sagen.
    »Die Frauen haben Fischsuppe für dich gekocht.« Er rührte mit einem Holzlöffel in der einen Schale und reichte sie ihr. »Soll ich…« Er sah fragend zu dem Kind. »Soll ich ihn halten, während du isst?«
    Tir zog die Decke ein wenig nach unten, worauf der Kleine mit den Beinen strampelte und die Augen aufschlug. Er öffnete den Mund und sah Bran erstaunt an. Tir nahm das Kind so, dass es aufrecht zwischen ihren Händen stand.
    Bran schnappte sich ein Stück Fisch aus der Suppe und hielt es ihm hin. »Glaubst du, dass er das mag? Turvi sagt, dass Hagdar seit seinem zweiten Tag Fleisch gegessen habe.«
    Sie legte das Kind in seinen Arm, worauf Bran vor lauter Schreck das Fischstück fallen ließ.
    »Gibt es Neues von Visikals Langschiff?« Tir drehte sich vorsichtig auf die Seite. Die Suppenschale stand am Rand ihres Lagers, aber ihr Körper schmerzte so sehr, dass sie nicht in der Lage war, sich danach auszustrecken.
    »Warte. Du musst dich ausruhen.« Bran legte den Jungen wieder an ihre Brust. Ehe sie protestieren konnte, war er schon dabei, sie mit dem Holzlöffel zu füttern. »Gesehen habe ich nichts«, sagte er. »Aber Virga hat mir das Bronzehorn gebracht. Ich habe sie gerufen.«
    Tir schwieg lange und sah zu dem flackernden Talglicht hoch, während Bran sie fütterte.
    »Wir brauchen ein neues«, sagte Bran, als er die leere Schale wegstellte. Er stand auf, ging zum Kartentisch und zog die Schublade unter der abgegriffenen Tischplatte heraus. Dort lagen leere Pergamentblätter, Sehnenfäden und ein Bündel Talglichter. Er nahm eins und entzündete den Docht an der Flamme des alten Lichts, bevor er es in der kunstvoll geschmiedeten Bronzeschale festdrückte.
    »Erzähl.« Tirs Stimme klang müde. »Erzähl

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