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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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immer gewesen war: ein Traum, eine Sage aus längst vergessenen Zeiten.
     
    Neumond verging. Die Tage führten das Felsenvolk weit nach Norden, denn der Wind wehte noch immer aus dem Süden. Nachts flaute er zu einem lauen Lüftchen ab und drehte nach Ost, doch die Männer richteten den Querbaum nach dem Wind und zurrten ihn mit den Schoten fest. Während des Tages zogen sie die Schoten immer wieder an, wenn der Wind drehte, doch die ganze Zeit über wehte er aus südlicher Richtung. Turvi ritzte die Tage in seinen Primstab und erinnerte sich an die Worte, die N’Gama ihm von der Karte vorgelesen hatte. Das Pergament im Bugraum zeigte klar, wo Mansar war, und nach dreißig Tagen hatte der Seemann, der seine Reise auf der Karte verewigte, Land im Osten gesichtet. Bran und Turvi hatten darüber gesprochen. Gemeinsam hatten sie die Fischhaut studiert, und Turvi hatte Bran erklärt, dass die Küste nach Norden verlief, bis sie das Gebirge erreichte. Das musste das Gebirge aus Brans Traum sein, meinte Turvi, und Bran stritt diese Vermutung nicht ab. Doch die mansarschen Zeichen verrieten nichts darüber, wie viele Tage die Reise dauern würde. Sie wussten bloß, dass die Mansarer nach dreimal zehn Tagen Land entdeckt hatten.
    Der Einbeinige versuchte nicht, Bran die mansarschen Zeichen zu übersetzen. Er erinnerte sich an deren Bedeutung, wusste aber auch, dass es Bran schwer fiel, Schrift und Zeichen zu verstehen. Und er sagte nichts von den Dämonen, Seeungeheuern oder dem Wahnsinn, von denen die Zeichen sprachen. Solch ein Wissen, dachte er, war für nichts gut. Doch er stand häufig an der Reling und hielt Ausschau nach Schatten von Seeungeheuern oder anderen Untieren. Wie ein Jagdhund nahm er in den stillen Nächten die Witterung des Windes auf, doch es zeigten sich weder Mahlströme noch Dämonen.
     
    Für das Felsenvolk waren es gute Tage. Die Kinlender hatten ihnen genug Trockenfisch gegeben, und das Wasser würde mehrere Tage reichen, als sich die meisten in Zahlen vorstellen konnten. Die Männer spannten vor dem Mast Decken und Häute auf und legten sich in den Schatten, während sich das Schiff rhythmisch nach Norden durch die Wellen schnitt. Seit sie das Lager an der Küste verlassen hatten und nach Süden gesegelt waren, hatten die Sorgen sie begleitet, doch jetzt wurden wieder die alten Geschichten erzählt. Eyna scharte Narien, Kriava, Lillevord und den Sohn von Kai um sich und sang die langen Weisen über den Vogelmann. Dielan, der beste Geschichtenerzähler unter den jungen Männern, erzählte die Legende von dem Mal des Wolfes und von den Kriegern der Ebene und ihren Kämpfen in Der Alten Zeit. Und wenn die Abende lang und gleichförmig wurden, setzte sich sogar Turvi zu ihnen, räusperte sich und erzählte aus den Tagen seiner Jugend, von den Jagdtouren mit Noj und den Kämpfen gegen die Kretter. Er erinnerte sich an die Waldgeister und an Lokes Worte: »Mut«, sagte er mit erhobenem Finger zu Kais Sohn, »ist alles, was wir brauchen. Wenn uns der fehlt, sind wir verloren.«
     
    In manchen Nächten flaute der Wind so stark ab, dass Bran und Nangor es wagten, die Schiffe aufeinander zuzusteuern und die Steven aneinander zu vertäuen. Dann erklangen die Flöten der Tirganer, und die Fackeln wurden entzündet. Chogg, Sortsverd und all die anderen, die die jungen Witwen des Felsenvolkes geheiratet hatten und mit ihnen gekommen waren, teilten ihre Sagen mit Brans Volk. Nur Zwei Messer und Storm waren noch immer voller Schwermut, doch niemand klagte sie deswegen an. Die Brüder hatten Visikal ihr Wort gegeben: Wenn das Felsenvolk auf Land stieß, sollten sie das Langschiff des Skergs zurück nach Tirga segeln.
    Es war an einem solchen Abend, als Cergan durch die Luke nach oben kletterte und Kianna zu kommen bat. Der dicken Frau wurde auf Nangors Schiff hinübergeholfen, und die Gespräche an Deck verstummten. Cergan wartete an der Luke. Sein gebrochener Arm lag noch immer in einer Schlinge. Die Tirganer umringten ihn und sprachen leise mit den scharfen Lauten, die so kennzeichnend für Ars Sprache waren. Und als die Nacht am dunkelsten war, gebar Nemni eine Tochter.
     
    Der Mond wuchs zu einem glänzenden Silberschild heran und Turvi ritzte einen weiteren Kreis in seinen Primstab. Er hinkte in dieser Nacht zu Bran, und während dieser das Schiff durch die Wellen steuerte, deutete der Einbeinige auf den Mond und gab murmelnd seiner Besorgnis Ausdruck. Mehr als zweimal zehn Tage waren vergangen, seit sie

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