Das Verheissene Land
könne nicht schlafen. Der Einbeinige wusste, dass das ein Zeichen war. Der Himmelsvogel Kragg hatte den Fischen Flügel gegeben, um seinem Volk zu zeigen, dass sie auf dem richtigen Weg waren.
Drei Tage Frieden für jeden Tag Furcht, sagen die Kelskrieger. Und in diesem Sprichwort lag viel Wahrheit, denn der vierte windstille Tag führte die Schiffe in ein seltsames Fahrwasser, wo sich die Wellen abflachten und das Meer glatt wie ein Bergsee wurde. Die Männer spürten Gefahr und holten ihre Speere. Die Frauen gingen unter Deck. Kein Wort war zu hören; sie alle wussten, dass sich die Männer als Erste der Bedrohung stellen mussten. Denn die Frauen trugen die nächste Generation in sich.
Sie sahen es erst als eine Art Schatten, eine Luftspiegelung am westlichen Horizont. Lange standen die Männer an der Reling und starrten über das Meer, denn es kam ihnen wie ein Wunder vor, was sich unter dem Willen fremder Götter dort am Horizont abzeichnete. Die Linie wölbte sich auf und ab, als ob sich die ganze Erdfläche verrenkte.
Erst gegen Sonnenuntergang rissen sich die Luftspiegelungen vom Horizont los. Sie trieben über das blanke Meer und die Männer sahen die sich schlängelnden Körper.
»Kragg sei uns gnädig«, flüsterte Kai. Dielan sah zu Bran hinüber, und die Männer duckten sich wie verängstigte Jungen hinter die Reling. Nur Turvi stand aufrecht da. Er streckte den Meeresungeheuern seine erhobene Faust entgegen. Sie waren lang wie mehrere Schiffe und ihre gewaltigen Augen leuchteten wie Sterne.
»Götter«, flüsterte er, denn er sah und verstand, dass diese Wesen von den Müttern der Namenlosen geboren worden waren und wie das Meer selbst der Ewigkeit angehörten.
Die Seeungeheuer folgten den Schiffen über lange Zeit. Schließlich wagten auch die anderen Männer, sich zu erheben, und Turvi brachte sie dazu, ihre Speere abzulegen. Kraggs Juwelen spiegelten sich auf den Körpern der Schlangen, während sie den Schiffen nach Norden folgten, und als die Nacht sich in den nächsten Morgen verwandelte, begriffen selbst Orm und Gorm, dass es nicht die Jagd nach Menschenblut war, die diese Wesen zu ihnen getrieben hatte. Die Seeschlangen waren göttliche Wesen, sie bewachten die Ewigkeit im Westen.
Bei Tagesanbruch tauchten die Seeschlangen unter. Die Wellen der riesigen Körper schlugen gegen die Schiffe und mit einem Mal war das Meer wieder voller Wellen. Der Wind frischte auf, und die Segel trieben die Schiffe vorwärts.
Während der folgenden zwei Nächte zeigten sich die Seeschlangen oft am Horizont im Westen. In der dritten Nacht glitzerte ein silbriger Lichtschein unter dem Nordstern, doch das war kein Blitz, denn es war kein Donner zu hören, und die wenigen Wolken waren weiß und trugen weder Sturm noch Unwetter in sich. Doch die Seeschlangen schrien zu diesem Licht, als wäre es ein Zeichen der Götter, die noch mehr Macht hatten als sie. Dann ließen sie sich in die Tiefe sinken und wurden nie wieder gesehen.
Vielleicht waren es diese Wunder, die das Felsenvolk ihre Sorgen vergessen ließen. Doch die Unbekümmertheit sollte nicht lange andauern, denn am fünften Tag nach Vollmond schöpften die Frauen die letzten Schalen Wasser vom Boden der Tonnen und gruben die Wasserschläuche aus dem Sandgang aus. Turvi wedelte mit der Karte und sagte, das Land würde sich bald zeigen, und Bran hoffte, dass er Recht hatte. Ohne Regen würden die Wasserschläuche kaum mehr als einen halben Mond reichen.
Die Tage wurden zu Nächten und die Nächte verblassten zu neuerlichen Tagen unter gleißender Sonne. Nur vereinzelte Wölkchen hingen am Himmel. Der Wind drehte von Ost nach West, doch er kam noch immer aus südlicher Richtung und war nie so stark, dass das Felsenvolk nicht an der Reling stehen und nach Land Ausschau halten konnte. Sie wussten, dass ihnen die Zeit langsam davonlief.
Turvi sprach oft zu ihnen. Der Einbeinige hinkte an Deck herum und erinnerte sie daran, was die Waldgeister über Mut und Hoffnung gesagt hatten, doch nur wenige hörten ihm zu.
Bran übernahm lange Wachen am Steuerruder. Er nutzte jede Böe aus und rief ständig nach Dielan und Hagdar, wenn die Schoten gestrafft oder gelockert werden mussten. In der Nacht, wenn der Wind abflaute, steuerte er das Schiff, so gut er konnte, durch die Wellen. Oft wanderte sein Blick zu dem anderen Langschiff hinüber, denn Nangor schien stets zu wissen, wohin er sein Langschiff steuern sollte, um in die günstigsten Strömungen zu
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