Das Verheissene Land
Doch dort draußen… Er spürte die Schläge des Lebens in seiner Brust. Der Zweifel, der ihn seit seinem ersten Traum gequält hatte, war wie weggewischt. Dort draußen lag das neue Land.
»Wie weit? Seid ihr dort gewesen?« Er ergriff Queyas schuppigen, kalten Arm. »Ich muss es wissen.«
N’Gama nahm Brans Hand vom Arm des Königs. »Der Einbeinige hat all mein Wissen«, sagte er. »Ich habe ihm die Karten gezeigt. Du wirst morgen, wenn ihr uns verlasst, mit ihm darüber sprechen.«
Bran entfernte sich von ihnen, denn er wollte ihnen nicht zeigen, wie wütend er darüber war, dass sie ihm nicht mehr über das Land im Norden erzählen konnten.
»Viele Gefahren warten auf euch«, sagte N’Gama. »Aale und Kraken jagen dort im Norden. Vielleicht werden sie angreifen, wie es Die Mächtigen taten. Doch du hast Mut und wirst sie nicht fürchten.«
Bran blickte auf den glatten Wasserspiegel zwischen den verwitterten Wrackmauern des Atolls. Noch immer trieben dort unten die Reste der zerschlagenen Flöße.
»Es ist unser Brauch, so zu kämpfen.« N’Gama schleppte sein verkrüppeltes Bein hinter sich her. »Indem wir von den Flößen aus gegen sie kämpfen, lenken wir ihre Wut von den Schiffen ab. Unsere Frauen und unsere Nachkommen verstecken sich in den Schiffen, wenn Die Mächtigen kommen.«
»Ich verstehe.« Bran sah auf die Langschiffe hinab, auf denen die Frauen die Kinder unter Deck riefen.
Da spürte er Queyas Faust auf seinem Rücken. Der Kinlender umklammerte seine Schulter und fauchte ihm ins Ohr.
»Der König ist dir dankbar.« N’Gama verzog seinen adlerartigen Mund. »Der Krieger, den du und dein Bruder zu retten versuchten, war Queyas Bruder.«
»Sein Bruder?« Bran wandte sich an Queya. »Ich wusste nicht…«
Da nahm Queya Brans Hand. Der Häuptling des Felsenvolkes zuckte zusammen, als Queya ihm mit seiner Klaue den Handrücken aufritzte, doch noch ehe er ihn zurückziehen konnte, hatte Queya einen Dolch gezückt. Der Kinlender hob den Dolch und fauchte zum Mond, ehe er ihn wieder nach unten führte. Doch er legte ihn auf seinen eigenen Unterarm. Die Klinge schnitt sich durch die Schuppenhaut und rote Tropfen sickerten heraus.
»Du wirst jetzt sein Bruder sein.« N’Gama führte Brans Hand zu Queya. Er wollte seinen Arm zurückziehen, doch da ergriff Queya seine Hand und drückte die Wunden aufeinander.
»Jetzt musst du von hier fortreisen«, sagte N’Gama. »Doch in Kin-Mar wird immer ein Speer auf dich warten.«
Bran umklammerte seine Hand. Der Ritz hatte bereits aufgehört zu bluten. Er wusste, dass viele Kriegervölker auf diese Weise ihre Freundschaft bekundeten, und verstand, dass das eine große Ehre war. Queya fauchte ihn an und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Ich bin ein Mann der Berge.« Bran hielt dem stechenden Blick des Kinlenders stand. »Ich habe geträumt. Ich habe das Tal hinter den Bergen im Norden gesehen. Dort ist meine Heimat.«
N’Gama übersetzte. Queya neigte den Kopf zur Seite, als verstünde er nicht ganz. N’Gama deutete auf die Türme und streckte seine Arme über den Kopf. Er wiederholte ein Wort und da hob Queya den Arm und sprach zu Bran.
»Erinnere dich an uns in deinem Turm aus Stein.« N’Gama atmete schwer, als fielen ihm diese letzten Worte besonders schwer. »Vergiss uns nie, Bruder. Denn du bist Der, der sucht. Und du hast das Blut des Meeres in dir.«
Als die Sonne hoch am Himmel stand, öffneten die Kinlender das Tor zu den Wellen des Westmeeres. Das Felsenvolk löste die Vertäuungen und setzte sich an die Ruder, denn der Wind stand günstig und wehte aus Südwest. Die Langschiffe glitten an den Wracks entlang, auf denen die Kinlender schweigend und mit zum Gruß erhobenen Händen standen, durch die Tore in die schaumweiße See. Dort gaben Bran und Nangor ihren Männern Befehle, und bald darauf fielen die Segel von den Querbäumen. Der Wind ergriff die Schiffe und führte sie rasch nach Norden.
Während die Sonne im Westen unterging, stand Bran an der Reling und blickte zurück auf den grauen Zirkel der Schiffswracks und Türme. Er berührte die Haizähne an seiner Brust und spürte den Wind in den Haaren. Der Dunst begann das Reich von Kin-Mar bereits zu verbergen, doch in einem der Türme konnte er eine Gestalt ausmachen. Ein grauer Umhang flatterte über den Schultern des Kriegers. Den ganzen Tag über stand Bran an der Reling. Gegen Abend waren selbst die höchsten Türme im Meer versunken und Kin-Mar war wieder, was es
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