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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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an den Schiffsrümpfen.
    Er kletterte die Leiter zum Königsschiff empor und wrang seine Haare aus. N’Gamas gebrochene Gestalt stand im Schatten unter dem aufgespannten Dach. Der Mond schien durch einen Riss im Segeltuch und sandte einen weißen Streifen Licht über den Fischknochenthron. Dort saß Queya in seinem Umhang aus Haihaut, die eine Hand an seine Haizahnkette gelegt.
    »Braa… Manannan n’or Braa.« Er schüttelte die Kette.
    »Manannan hat dir Mut gegeben«, sagte N’Gama. Dann hinkte er zu Queya.
    Bran legte die Decke vor sich auf das Deck. Als Queya das sah, stand er auf und trat aus dem Schatten. Er sprach über seine Schulter, während er Bran in die Augen starrte. N’Gama folgte hinter ihm.
    »Wir haben gemeinsam gekämpft, Mann des Landes. Trage die Kette mit Stolz und lass sie deinen Sohn nach dir tragen. Möge es dir und deinem Volk eine Erinnerung an das Volk von Kin-Mar sein.« Der Verkrüppelte stützte seine Hände auf die Knie und sah auf die Decke hinab. Dann hustete er ein paar Worte zu Queya.
    »Die ist für den König.« Bran entrollte die Decke und hielt sie vor sich. Es war eine dicke Wolldecke, die seine Mutter einige Winter, ehe sie die Felsenburg verlassen hatten, für ihn gewebt hatte.
    N’Gama flüsterte Queya etwas zu und Queya trat vor und strich mit der Hand über den nassen Stoff. Dann ließ er seinen Haihautumhang von den Schultern gleiten und legte sich die Decke um.
    »Der König dankt dir«, sagte N’Gama. »Er wird für immer dein Freund sein. Jetzt bittet er dich, ihm zu folgen.«
    Queya schritt über das Deck und kletterte in den Turm am Bug. N’Gama deutete an, dass Bran ihm folgen sollte.
    Bran kletterte die Strickleiter hoch, die aus dem grauen Gestell herabhing. Der verkrüppelte Weise zeigte ungeheure Stärke, als er ihm nachkletterte. Queya stand bereits ganz oben im Turm. Die nasse Decke hatte er sich über die Schultern gelegt.
    »Braa…«, sagte Queya, als Bran auf den Plankenboden der kleinen Plattform trat. Er streckte den Arm über das Meer aus, das das Atoll umgab, und blickte zum Mond empor. Dann sprach er viele Worte, und obgleich Bran sie nicht deuten konnte, wusste er, was der Kinlender ihm sagen wollte. Das Meer war schön unter dem weißen Licht.
    »Dies ist das Ewige Land.« N’Gama schob sich mühevoll hoch und stützte sich an das Geländer, während er nach Luft rang. »Hier sind…« Er rückte seinen Gürtel zurecht und blinzelte in den Silberschein des Mondes. »Hier sind die Menschen klein und die Götter nah. Das Meer herrscht über unser Leben.«
    Queya wandte sich nach Süden, während er mit leiser, fauchender Stimme weitersprach.
    »Im Süden«, murmelte N’Gama. »Die Gründe, auf denen die Schildkröten weiden und wo der Sírlen noch häufig ist. Dort liegt die Höhle, in die unsere Frauen gehen, um zu beten, bevor sie die Kinder zur Welt bringen.«
    Queya deutete auf die Wracks im Osten. Die grauen Erscheinungen spiegelten sich mit zerrissenen Segeln und faulenden Schiffskörpern auf den glatten Wellen.
    »Die Grenze zur Vergangenheit. Der Ort unserer Erinnerungen.« N’Gama fasste sich an die Narbe in seinem Gesicht. »Von dort kommen die Schiffe, die Opfer der Stürme geworden sind. Von dort führt die Strömung die Leichen der Landmenschen zu uns. Nur sterbende Krieger wagen es, in das Unbekannte hineinzuschwimmen.«
    Der neue König zog die Wolldecke vor dem Hals zusammen und ging zur Westseite des Turmes hinüber. Er flüsterte jetzt kaum hörbar, doch der Verkrüppelte zögerte nicht, alles zu übersetzen:
    »Im Westen ist das Meer tief. Dort liegen unsere Jagdgründe. Wir töten Schwertfische, Haie und Rochen. In der Tiefe der Ewigen Dämmerung sehen wir die Kraken, die das Wasser schwarz färben, und die Wale, die sie fressen. Dort draußen leben Die Mächtigen. Das Westmeer ist das Reich Der Mächtigen.«
    Jetzt legte Queya seine schwere Klauenhand auf Brans Schulter und wandte sich nach Norden. Er sprach leise und langsam, als wollte er, dass Bran alles hörte und verstand. N’Gama wartete, bis er schwieg, ehe er die Worte des Königs wieder in die weiche Sprache der Händler übertrug:
    »Im Norden liegt das Erdland. Zweimal hat der Wind gedreht und uns Schiffe aus dem Norden zugetragen und beide Male fanden wir Landmenschen, in deren verwesenden Körpern Pfeile steckten. Doch sie brachten uns ihr Wissen auf ledernen Häuten.«
    Bran trat ans Geländer vor. Der Horizont unter dem Nordstern war glatt und dunkel.

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