Das Verheissene Land
kommen. Der Seeräuber kletterte immer wieder auf den Achtersteven und stand dort wie eine Statue, während das Schiff durch die Wellen schaukelte. Dann kletterte er wieder nach unten und änderte den Kurs und Bran folgte ihm, um den Wind auszunutzen.
Dem Rat des Seeräubers folgend, hielt sich das Felsenvolk tagsüber, wenn die Sonne brannte, unter Deck auf. Sie benetzten sich mit Salzwasser, um ihren Durst zu lindern. Turvi bat sie, sparsam mit dem Süßwasser umzugehen, und nur Hagdar aß noch von dem salzigen Trockenfisch. Die letzten Kornsäcke wurden aufgetrennt, denn das Korn konnte mit Salzwasser gekocht werden.
Bran hielt sich bei Tir auf. Er gab ihr viel von seinem Wasser und sie wehrte sich nicht. Der erste Mond war ihr schwer gefallen, denn Ulv schien nicht verstehen zu wollen, wann Schlafenszeit war. Stattdessen schlief er wie ein Welpe immer für kurze Momente zwischendurch und schrie nach Essen, wenn er aufwachte. Doch das Felsenvolk beschwerte sich nicht darüber, obgleich sie nur selten eine ganze Nacht Ruhe bekamen. Seit sie die steinernen Hütten der Felsenburg verlassen hatten, hatten sie dicht beieinander gelebt und waren das Geschrei der Kinder gewohnt. Bran konnte lange mit seinem Sohn im Schoß dasitzen. Das kleine Geschöpf mit den dunklen Haaren und den wasserblauen Augen verwunderte ihn. Tir konnte mit dem Kind sprechen, es an die Brust legen und wiegen, doch Bran fühlte sich dem Jungen gegenüber noch immer fremd. Ulv trug seinen Namen zu Recht, dachte er, denn wenn er aufwachte und bemerkte, dass er nicht bei seiner Mutter war, begann er mit Armen und Beinen zu strampeln wie der wildeste Wolfswelpe. Er schrie und protestierte und beruhigte sich nicht eher, bis Tir ihn auf den Arm nahm.
So ist es einfach, dachte Bran, als er unter der Mondsichel stand. In der vergangenen Nacht hatte er mit Dielan darüber gesprochen, doch Dielan hatte gelacht und ihm gesagt, dass es auch ihm so ergangen sei, als Konvai gerade auf der Welt war. Der Vater ist in der ersten Zeit zu wenig nütze, hatte er erklärt. Erst später, wenn das Kind groß genug zum Laufen und Sprechen war, wandte es sich an seinen Vater. Bran hatte gefragt, warum das so sei, doch Dielan zuckte bloß mit den Schultern.
Bran gähnte und legte die andere Hand ans Steuerruder. Er stand wie so viele Nächte zuvor allein am Ruder. Das Meer seufzte am Schiffsrumpf, flüsterte mit unzähligen Stimmen und schob ihn nach vorn, immer weiter nach vorn auf den Horizont unter dem Nordstern zu. Nangors Schiff lag jetzt backbord neben ihnen, denn der Seeräuber hatte das Ruder einem der Tirganer überlassen. An dem Tag, nachdem die Seeschlangen verschwunden waren, hatte Nangor sein Schiff herangesteuert und gesagt, dass er glaubte, sie seien zu weit westlich geraten. Doch während er das sagte, drehte der Wind auf Ost, als hätten die Götter selbst ihn gehört und als wollten sie es den Schiffen verwehren, weiter nach Osten zu kommen. Sie konnten nur wenig mehr tun, als die Backbordschot zu straffen und mit Kurs auf den Nordstern weiterzusegeln.
Er dachte oft an die Seeschlangen. Alles war wie in einem Traum gewesen. Und vielleicht waren diese gigantischen Geschöpfe auch Träume. Vielleicht zeigte ihm das Meer hier oben selbst diese unwirklichen Erscheinungen. Denn es war ein fremdes Meer und die Winde, die hier bliesen, führten ein Gefühl der Einsamkeit mit sich.
Bran schüttelte den Kopf und kniff die Augen zusammen. Er war müde und dachte zu viel nach. Seit Tagen hatte er nur noch Körnerbrei gegessen und er sehnte sich nach Fleisch, blutigem Fleisch, direkt aus der Beute geschnitten. Und je mehr er daran dachte, desto mehr zerrte der Hunger an seinem Magen.
Bei Tagesanbruch steuerte Nangor heran. Der Seeräuber klemmte das Ruder unter seinem Oberarm fest und hielt das Schiff nur ein paar Speerlängen neben der Tigam, ehe er Nosser das Ruder übergab und an die Reling trat.
»Es ist aus«, rief er. Der Wind hob seinen Bart von der Brust. »Das Wasser! Wir haben keins mehr! Wir brauchen etwas von euch!«
Bran sah zu der aufgehenden Sonne im Osten hinüber. Er konnte Turvi und Kaer dicht unter der Luke sprechen hören und jetzt kroch Virga an Deck. Bran rief ihn zu sich und übergab ihm das Ruder. Dann ging er zur Luke hinüber. Er kletterte nach unten und fand den Einbeinigen und dessen Sohn an der Feuerstelle.
»Nangor hat kein Wasser mehr.« Er sagte es leise, so dass die anderen es nicht hören konnten. »Wir müssen ihnen
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