Das Verheissene Land
Regen tropfte durch die Löcher und Ritzen des Schutzdaches, doch das kümmerte sie wenig, denn sie hatten genug trockenes Holz, und die Wärme hielt sich gut. Sie füllten die Krüge mit Regenwasser und weichten den Trockenfisch ein, damit sie ihn am nächsten Tag über dem Feuer braten konnten. Selbst Storm und Zwei Messer vergaßen für einen Moment die Schwermut, die auf ihnen lastete, seit sie Tirga verlassen hatten, und gesellten sich zu den anderen um das Feuer. Zwei Messer erzählte von dem Kampf, in dem er sein Auge verloren hatte, von Seereisen durch das Fahrwasser der Mansarer, und von Reisen, die er und Storm gemacht hatten, als sie noch jung waren. Die beiden Brüder hatten als Bogenschützen auf Handelsschiffen gedient, die bis nach Krugant hinaufgesegelt waren.
»Krugant?« Hagdar schüttelte ungläubig den Kopf, als er das hörte. Jeder vom Felsenvolk hatte schon von Krugant gehört, und hin und wieder waren Nomaden in die Felsenburg gekommen und hatten von jenem fernen Ort hinter den Ebenen berichtet.
»Krugant ist das Portal zum Nordland«, sagte Storm. »Dorthin kommen Karawanen und Krieger aus den Fichtenwäldern weit oben im Norden. Wie ich schon immer gesagt habe: Die Welt ist wie ein Schild ohne Rand.«
»Visikal hat das gewusst.« Zwei Messer sah Bran an. Sein blindes Auge glänzte im Lichtschein. »Deshalb hat er uns mit dir geschickt, Tileder. Wir sollen zurücksegeln, durch die Stürme. Wenn wir überleben, sollen wir mehr Krieger in die neuen Länder führen. Und wir werden als große, ehrwürdige Kämpfer in Erinnerung bleiben.«
»Ehre…« Hagdar schnäuzte sich in die Hand und wischte sie am Hosenbein ab. »Was tun Männer nicht alles für Ehre?« Er warf Virga den Wasserschlauch zu. Der Junge saß mit gekreuzten Beinen und einem halb aufgegessenen Apfel in der Hand da.
»Was hältst du von dem, was Zwei Messer sagt. Junge?« Hagdar grinste. »War es die Aussicht auf Ehre, die dich zu dieser Reise verleitet hat, oder war es Abenteuerlust? Oder vermisst du am Ende gar deine Mutter?«
Virga blickte auf. »Meine Brüder sind in Tirga geblieben. Sie kümmern sich um sie. Und mir geht es nicht um Ehre. Ich bin mitgekommen, um nicht im Krieg gegen Vandar zu sterben. Ich wollte nicht so enden wie Vater.«
Es wurde still um das Feuer. Storm spuckte in die Flammen, und Zwei Messer schüttelte den Kopf. Schließlich beugte sich Loke zu dem Jungen hinüber. »Totschlag und Krieg haben nichts mit Ehre zu tun, Junge. Es war die richtige Entscheidung, mitzukommen. Und du beweist großen Mut, indem du es wagst, das an diesem Abend vor uns auszusprechen.«
Storm und Zwei Messer schnaubten verächtlich und drehten der Runde den Rücken zu. Bran klopfte Virga auf die Schulter. Er verstand den Jungen. Virga hatte als einer seiner Männer an seiner Seite gekämpft, und von den zehn, die zu Beginn des Krieges unter Brans Führung gestanden hatten, war nur noch die Hälfte am Leben.
»Es ist spät«, sagte Hagdar gähnend. »Zeit zum Schlafen.« Der große Mann legte sich auf die Seite und schob seinen Umhang über die breiten Schultern. Die Waldgeister zogen sich ebenfalls zurück. Sie rollten sich unter ihren Lodendecken zusammen und blinzelten ins Feuer.
Bald war Hagdars Schnarchen zu hören, und nur noch Bran und Dielan waren wach. Dielan biss sich auf die Oberlippe, wie sooft, wenn er etwas Wichtiges sagen wollte. Bran drehte die Glut mit Hagdars Speer um, damit die Wärme sich länger hielt. Dielan hustete, fasste sich an die Brust und verzog das Gesicht.
»Sobald wir zu den Schiffen zurückkommen, musst du dich ausruhen.« Bran rückte näher zu seinem Bruder und reichte ihm den Wasserschlauch. »Du musst der Rippe Zeit geben, wieder anzuwachsen.«
Dielan lief Wasser in den Bart. »Das werde ich. Gwen wird schon auf mich aufpassen, mach dir keine Sorgen.« Er legte den Wasserschlauch in den Schoß. »Ich vermisse sie. Sie und Konvai.«
Bran schloss die Augen. Bald würden sie wieder bei ihren Familien sein. Tir erwartete ihn, das spürte er. Es war wie ein Wind, der durch seine Gedanken fuhr, wie ein Lockruf zwischen den Bäumen.
»Weißt du«, sagte Dielan, »Konvai hat gerade angefangen zu reden. An dem Tag, als wir in der Bucht anlegten, hat er mich zum ersten Mal Vater genannt. Ich glaube, das Meer hat ihm Angst gemacht, Bran. Es hat ihn vom Wachsen abgehalten, davon, zu sprechen und größer zu werden.«
»Jetzt braucht er keine Angst mehr zu haben.« Bran schob einen halb
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