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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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Galuenen, welche Geißel der Krieg sei. Und als sie nach ihrer Lehrzeit selbst begonnen hatte, die Kranken und Verwundeten der Kriege zu pflegen, erkannte sie sogleich, dass auch das Gemüt der Krieger verletzt werden konnte. In Tirga kamen die alten Frauen zu ihr und redeten über ihre ergrauten, greisen Männer. Im Schlaf berührten die Krieger ihre Narben und weinten wie Kinder.
    Sie schob die Haare aus der rechten Seite seines Gesichts. Die Falten an seinen Augen waren tiefer, als sie es bei einem Mann seines Alters sein durften. Als spannte er diese Seite seines Gesichts beständig an. Sie strich mit der Hand über das vernarbte Ohr. Wie eine Schlange wand sich die Narbe von der Schulter empor, und sie konnte sich die Keule vorstellen, die ihn getroffen hatte. Sie war an der Seite seines Kopfes heruntergeschnellt und hatte den hinteren Teil seines Ohrs mitgerissen. Dann hatte sie die Haut an seinem Hals zerschunden, ehe sie auf seine Schulter schmetterte und die Knorpel im Nacken zerquetschte.
    Als die Frauen nach unten kamen, um Grütze und Fisch zu kochen, setzte Tir sich hin. Sie beugte sich über ihren Bauch vor und rieb sich die geschwollenen Knöchel. Es fiel ihr jetzt leichter zu atmen, doch im Laufe der letzten Tage war der Druck in ihrem Unterleib immer stärker geworden. Alles, was sie tat, fiel ihr schwer, und sie wusste, dass es jetzt bald so weit sein würde. Es wunderte sie, dass sie nicht mehr Angst verspürte und nicht öfter an das dachte, was sie in jener Nacht im Turm gefühlt hatte. Nie war ihr Cernunnos so nah gewesen wie in diesem Moment. Sein Geist hatte wie ein Windhauch nie ausgesprochener Worte zwischen den Säulen gehangen. Als Bran sich über sie legte, war er ihr noch immer fremd gewesen. Er hatte nach Schweiß und Tierblut gerochen und das vernarbte Ohr hatte an ihrer Wange gekratzt. Sein schwerer, breiter Körper hatte sie zu Boden gedrückt, festgehalten und besessen. Und der, der Hörner trägt, hatte ihr Bilder und Visionen über das Kind zugeraunt, das sie empfing. Doch die Visionen waren unklar wie die Silhouetten von Bäumen oder Schiffen im Nebel.
    Sie hatte noch immer Angst. Als Bran auf dem Altar lag, hatte sie Cernunnos angefleht, seinen Blick auf ihn zu richten und ihn zurück ins Leben zu führen. Und Cernunnos hatte die Messerstiche in dem halb toten Körper gesehen und Bran die Kraft gegeben aufzuwachen. Doch sie hatte die Gesetze der Götter nicht vergessen. Ein Leben für ein Leben. Niemand entrann dem Tod, ohne ein Opfer zu erbringen.
    Tir stützte sich an einen Balken und erhob sich. So viel hatte sich verändert, seit sie seine Frau geworden war. Früher hatte sie sich nie so empfunden, doch jetzt erschien ihr das ganz richtig zu sein. Sie brauchte ihn in dieser Zeit. Er musste da sein, wenn das Kind kam, denn er war der Einzige, den sie hatte. Kianna würde ihr bei der Geburt helfen, doch Kianna wusste nichts von dem Schicksal, das dem Kind bevorstand. Bei dem Gedanken fasste sie sich an die Stirn und holte tief Luft. Die Hitze ließ den Schweiß auf ihrer Stirn zu Perlen anschwellen. Cernunnos hatte zu ihr gesprochen, wie er zu Bran gesprochen hatte; er hatte ihr einen Traum gegeben. Und sie hatte ihren eigenen Sohn über eine Ebene wandeln sehen, und die Wolken am Himmel waren blutrot gewesen. Er hatte Brans Gesicht gehabt, doch ohne Narben. Über dem Rücken trug er ein frisch geschmiedetes Schwert. Er hielt an und die vier Winde ergriffen seine Haare und ließen sie flattern. Dann ertönte der Laut unzähliger Krieger am Horizont und in Gold gekleidete Männer tauchten auf der Ebene auf und richteten ihre Lanzen auf ihn.
    »Geht es dir nicht gut?« Kianna streichelte ihr über den Hals. »Du bist ganz warm. Hast du heute genug getrunken?«
    Tir fasste sich ins Kreuz. »Ich bin müde.«
    »Du hättest das heute nicht sehen sollen. Dieser Velar ist kein guter Mann. Aber der Freibeuter mit dem hellen Bart hat ihn an den Mast gebunden.«
    Tir begann sich an den Balken entlang zu tasten. Sie wollte nicht wissen, was Nangor getan hatte, um Velar zu bestrafen. Sie wollte jetzt nichts Böses mehr hören. Sie wollte Frieden für sich und ihr Kind. Und für Bran.
    »Ich war im Bugraum vorne.« Kianna umarmte sie und blickte auf ihren Bauch. »Ich werde dir dort ein Lager herrichten.«
    Tir setzte sich an die Feuerstelle. Gwen schob ihre Felldecke hinter Tirs Rücken und ließ sie sich an einen Balken stützen. Die Frauen am Feuer lächelten, doch sie redeten jetzt

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