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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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Querbaum knirschte am Mast.
    »Du hörst den Wind im Segel«, sagte Turvi und lächelte. »Wenn – du an Deck stehst, spürst du ihn auf der Haut. Du kannst ihn nicht sehen, aber du weißt, dass er da ist. Sei also nicht so rasch dabei, Dinge zu verneinen, die du nicht sehen kannst.«
    Das Schiff ritt eine Welle hinab. Turvi wrang den Lappen über Cergans Brust aus und ließ das Wasser die Wunden kühlen.
    »Kragg ist der Himmelsvogel.« Turvi legte den Lappen wieder über die Stirn des Mannes. »Wenn die Sonne untergeht, breitet er seine juwelenbesetzten Schwingen unter dem Himmel aus und gibt uns die Dunkelheit. Er ist der Gott des Felsenvolkes. Er war es, der den Vogelmann gebeten hat, uns zu warnen, und als wir auf die Ebene hinauszogen, sahen wir, wie Er seine Schwingen ausbreitete und über das Meer davonflog.«
    Cergan lag jetzt still da und ließ den Alten reden. Und Turvi beugte sich erneut zum Eimer hinunter, benetzte den Lappen und legte ihn wieder auf die Stirn des Mannes. Das Wasser rann in die langen Haare des Tirganers, als er weitersprach.
    »Wir wissen alle, dass Kragg in dieser Nacht drei Männern von uns Träume gab. Doch nur zu einem sprach er die Wahrheit, und nur der eine kann uns wirklich in das Land führen, in dem Kragg auf uns wartet. Und Bran erwies sich als der Stärkste. Ihm müssen wir folgen! Und wir dürfen uns nicht fürchten, denn uns wird nichts Schlimmes geschehen, solange Kragg in diesem Land auf uns wartet.«
    Da öffnete Cergan seine aufgesprungenen Lippen und lachte. Er riss die Augen auf und starrte Turvi an.
    »Glaub bloß nicht«, fauchte er, »glaub bloß nicht, dass wir freiwillig mit euch gegangen sind. Visikal hat uns gezwungen. Sonst hätten wir nie auch nur einen Fuß auf ein Schiff gesetzt, das in die ewigen Stürme im Westen hineinsegelt.«
    Der Einbeinige nahm den Lappen von Cergans Stirn. Keiner der Tirganer hatte je etwas davon gesagt.
    »Eure Frauen… Meine Nemni.« Cergan sank zurück und die angeschwollen Augenlider schlossen sich. »Sie ist die schönste Frau, die ich jemals gesehen habe. Ich wollte mit ihr im Hause meiner Väter leben und sie unsere Kinder in Tirgas Türmen gebären lassen. Das war mein Wille.«
    Turvi sah auf das verschwitzte Gesicht hinab. Er fragte sich, ob der verwundete Mann weinte oder ob das die Tropfen von dem Lappen waren.
    »Neun Frauen kamen nach Tirga«, flüsterte Cergan. »Und neun Männer meines Volkes fanden Wärme bei ihnen. Nemni und ich… Ich hätte niemals die Frau verlassen können, die mein Kind unter ihrem Herzen trägt. Visikal sagte, dass wir sie begleiten müssten und Tirgas Blut im Land auf der anderen Seite weiterführen sollten, so es dieses Land denn gibt.«
    Der Tirganer ließ die Arme an den Seiten seines Körpers hinabsinken. Turvi schob sich auf die Knie hoch und stützte sich auf seine Krücke. Der Verwundete brauchte Ruhe, und später würde es auch noch Zeit zum Reden geben.
    Als er sich erheben wollte, zog Cergan an seinem Umhang.
    »Ich… ich habe Angst«, flüsterte er. »Ihr wisst nichts…«
    Turvi ließ sich wieder neben ihm zu Boden sinken. Der Tirganer winkte ihn näher heran, und Turvi legte sein Ohr an den Mund des Mannes.
    »Die Seeleute haben es erzählt.« Cergan schluckte und hustete, so dass der Speichel über sein Kinn rann. »Die ewigen Stürme im Westen… Sie haben uns davon erzählt. Es werden Geister sein, die im Wind heulen. Spukgestalten werden auf den blutroten Wellen dahintreiben. Wracks werden vorbeitreiben, und Gestalten des Todes werden auf den wurmlöchrigen Decks stehen und heulen. Und Seeungeheuer werden die Langschiffe zerstören.«
    Turvi kroch von ihm weg. Taue schwangen unter dem Deck. Nangor rief oben nach den Männern, denn der Wind begann aufzufrischen.

Der Sturmrand
     
    A m Morgen nach dem Kampf hatte der Anfall wieder nachgelassen. Als Bran an Deck kletterte, griff der Wind in sein Haar und linderte den brennenden Schmerz, der noch immer hinter seiner Stirn pochte.
    Jetzt stand er am Steuerruder und die Ruderpinne vibrierte in seiner Hand. Vorbei war es mit der seichten Dünung und der Windstille. Das Meer war aus seinem Dämmerschlaf erwacht, und der Bruder der Sonne trieb aus Osten dunkle Wolken vor sich her. Haushohe Wellen hoben das Schiff auf ihre schaumweißen Rücken, um sie im nächsten Augenblick in tiefe Wellentäler zu stürzen. Der Querbaum rieb sich knarrend am Mast, und das Segel spannte sich wie die Flügel einer Möwe.
    Bran stand breitbeinig

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