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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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nicht so viel wie sonst. Der Kampf hatte ihnen einen Schrecken eingejagt. Tir lehnte sich zurück, und die junge Kriava kroch mit einem Wasserschlauch zu ihr hinüber.
    »Darf ich mal horchen?« Das junge Mädchen sah sie mit großen, braunen Augen an. Tir schloss die Augen, und Kriava legte den Kopf auf ihren Bauch. Tir erinnerte sich an die Zeit, als sie selbst so wie Kriava war und nichts über die Kriege der Männer und all den Unfrieden wusste. Damals war Cernunnos bloß ein Name gewesen, eine Statue in einem Turm – und Tirga die ganze Welt. All das andere waren nur das Gerede der Erwachsenen und die Lieder der Seeleute.
     
    Es war Abend, als Hagdar die Tigam wieder zu Nangors Langschiff hinübersteuerte. Der leichte Wind zeichnete Fächer auf das blanke Meer und die Sonne hing niedrig im Westen. Nangor warf ein Seil über den Achtersteven, und als die Schiffsflanken aneinander knirschten, half Dielan dem Einbeinigen auf Nangors Langschiff hinüber. Turvi rutschte auf das andere Deck hinunter, und noch ehe er sich erhoben hatte, waren die Langschiffe wieder auseinander geglitten. Der Einbeinige wollte die Nacht auf Nangors Schiff verbringen, denn der verletzte Tirganer brauchte Trost und Pflege nach dem Kampf. Für Turvi waren die Tirganer nicht mehr Tirganer, sondern Männer des Felsenvolkes. Und wie er bei einem verletzten Mann seines Stammes gewacht hätte, wollte er heute Nacht bei Cergan wachen.
    Turvi schleppte sich zur Luke, ehe er verharrte und zum Mast hinübersah. Velar ließ den Kopf hängen. Die Sonne hatte ihn verbrannt und Schweiß glänzte auf seiner Haut. Das Blut war auf den Wunden, die das Tau gerissen hatte, angetrocknet. Nangor hatte ihn den ganzen Tag dort stehen lassen, und erst bei Sonnenuntergang wollte er das Palmtau lösen und ihn trinken lassen.
    »Ich hoffe, das ist dir eine Lehre.« Turvi hinkte zu ihm hinüber. »Wir haben genug von deiner Streitsucht.«
    Velar hob den Kopf. »Gib mir Wasser.« Velar öffnete den Mund. Seine schmalen Lippen waren aufgesprungen.
    Turvi stellte sich vor ihn hin. Er blickte ihm in die Augen, bis Velar den Kopf wieder sinken ließ. Da packte der Einbeinige ihn bei den Haaren und zog seinen Kopf hoch.
    »Töte ihn, dachte ich. Als Bran dich zu Boden schlug, dachte ich, dass es das Beste wäre, wenn er dich töten würde. Beim Zweikampf im Winter hätte er das getan, aber Tir hinderte ihn daran. Sie ist eine gute Frau, diese Tir. Und Bran ist ein guter Häuptling.«
    »Ich träumte…« Velar rang nach Luft. »Auch ich habe etwas gesehen. Nach Norden… Die Götter haben auch zu mir gesprochen. Warum Bran…«
    »Ihr habt eure Stärke im Meer gemessen. Und Bran kam als Erster mit der Muschel zurück. Das war Nojs Wille. Bran wurde Häuptling. Nicht du. Und darüber bin ich froh.«
    Velar schloss die Augen. Turvi ließ ihn los und drehte sich zur Luke.
    »Warte.« Velar hustete. »Turvi. Erzähl mir…«
    Turvi drehte sich um. Irgendwie tat ihm der junge Mann Leid.
    »Glaubst du…« Velar hob den Kopf. Er wand sich in seinen Fesseln, doch das Palmtau schnitt sich nur noch tiefer in seine Haut. »Glaubst du, dass es dort draußen etwas gibt? Ich… ich habe von den Seeungeheuern gehört. Und von den Stürmen. Hast du keine Angst?«
    Turvi stieß mit der Krücke auf die Decksplanken. Dann warf er den Kopf herum und humpelte in Richtung Luke. Dort ließ er sich an Deck sinken, ehe er die Luke aufschob und sich in das Halbdunkel hinunterließ.
     
    Der Einbeinige erinnerte sich an die Zeit, als er noch jung war und gemeinsam mit Noj auf die Jagd ging. Noj hatte gesagt, er habe nachts den Blick eines Wolfes, denn niemand konnte im Dunkeln so gut sehen wie Turvi. Doch das Alter raubt selbst dem stärksten Mann seine Fähigkeiten, und Turvi konnte die Menschen kaum mehr von den Balken unterscheiden. Auch hier hatten sie unter der Luke Feuer gemacht, und er hatte sich direkt in ihr Abendessen hinabgehangelt. Er erkannte bärtige Gesichter und die langen Locken der Frauen, die am Feuer saßen. Er grüßte sie alle, wünschte ihnen Frieden unter Kraggs Schwingen und räusperte sich, wie es seine Gewohnheit war.
    »Der tapfere Mann«, sagte er. »Cergan, Nemnis Mann. Wo ist er?«
    Da erhob sich eine schmale Gestalt aus dem Schatten. Turvi streckte ihr die Hand entgegen und berührte die lockigen Haare. Es war Nemni.
    »Er liegt im Bugraum. Ich werde dich hinführen.« Sie hakte ihn unter und Turvi hinkte aus dem Sandgraben heraus.
    Nemni sagte nichts, während

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