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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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Klauen schlossen sich, doch er wollte den Männern seine Schwäche nicht zeigen. Er biss die Zähne zusammen, als seine Muskeln zu zucken begannen, ehe er seine Stimme wieder erhob. »Ich habe das Land auf der anderen Seite gesehen! Die Träume haben mich durch den Sturmrand geführt!«
    Da löste Nangor die Vertäuung am Bugsteven. Männer und Frauen kletterten über die Reling und begaben sich an Bord ihrer eigenen Schiffe. Dann glitten die Langschiffe auseinander.
     
    Tir half Bran unter Deck. Bran versuchte, sie daran zu hindern, denn sogar durch den Schleier der Schmerzen musste er an das Kind denken. Doch sie war seine Anfälle gewohnt, und als Bran sich zwischen den Balken unter Deck hindurchtastete, stützte sie ihn und führte ihn zu seinem Schlafplatz neben dem Bugraum.
    »Keiner darf das wissen«, flüsterte er, als Tir die Decke über ihn ausbreitete. Er spürte ihre Hände auf seiner Stirn. Sie lagen kühl auf der brennenden Haut. Ihr Gesicht war wie ein Lichtschein im Dunkel. Das war alles, was er sah.
    »Ist es wieder dunkel?« Ihre Stimme war weich und nah.
    Bran riss die Augen auf, doch die Schmerzen hielten den grauen Schleier vor seinen Augen fest. Das geschah nun zum dritten Mal.
    »Du musst jetzt schlafen«, sagte Tir. »Und wenn du aufwachst, wirst du wieder wie gewohnt sehen können.«
    »Die Schmerzen…« Bran tastete sich zu ihrem Gesicht vor. Er hatte fast vergessen, wie es war. Doch die Klauen würden ihn niemals vergessen. Und er hatte geglaubt, dass der Schmerz das Schlimmste sei. Doch die zwei Anfälle im Winter hatten ihn etwas anderes gelehrt. Denn es reichte den Klauen nicht mehr, Feuer hinter seiner Stirn zu legen. Die Schmerzen blendeten ihn nun.
    »Ich habe solche Angst.« Bran rieb sich die Augen. »Es wird mir nicht gelingen, wenn ich nie wieder sehen kann.«
    »Das vergeht mit den Schmerzen.« Tir legte sich an seine Seite. »Jetzt musst du ruhen und dich von Cernunnos heilen lassen.«
    Bran spürte ihren Bauch an seiner Seite und ihre Hand auf seiner Brust. Das gab ihm Ruhe, und so schloss er die Augen und lauschte dem Meer. Ihr Atem kitzelte an seinem Hals. Doch nicht er fühlte das, sondern jemand anders, jemand, der irgendwo dort lebte, wo die Klauen ihn nicht erreichen konnten. Sie hatte ihn gelehrt, den Schmerzen zu entfliehen. Er musste an andere Dinge denken, an schöne Erinnerungen und Freunde. Manchmal war ihm das gelungen. Er dachte an die Zeit in der Felsenburg, an die Winterabende am Feuer des Vogelmannes und an die Jagdtouren in die Berge. Doch jetzt waren die Schmerzen stärker als jemals zuvor. Die Klauen kratzten unter seiner Haut. Er legte seine Hand über die ihre und fuhr mit dem Finger über den Ring mit dem Wellenmuster. Da griffen die Klauen zu. Bran spürte seine eigenen Tränen auf den Schläfen. Niemals war es so schlimm gewesen. Wie eine glühende Eisenzange klemmten sie seinen Kopf ein. Die Zuckungen reichten vom Gesicht bis in die rechte Schulter. Und seine einzige Hoffnung war, dass ihn niemand sah.
    Tir lag bei Bran, bis er einschlief. Sie hielt seinen Arm, denn Bran war der Einzige, den sie hatte. Sie hatte seinen Namen geschrien, als Velar das Schild gegen seine Kehle drückte, doch die Rufe der Tirganer hatten sie übertönt. Sie hatte solche Angst ausgestanden. Angst, ihn zu verlieren und allein unter diesem Volk leben zu müssen, das nicht ihr Volk war. Wenn der Schmerz von ihm abließ, wollte sie mit ihm reden und ihn dazu bringen, ihr zu versprechen, sich nie wieder selbst in Gefahr zu bringen. Er würde sie küssen und ihr sagen, dass er immer bei ihr sein werde. Denn das sagte er immer, wenn sie über so etwas sprachen. Doch seine Narben verrieten, dass es die Gewalt war, die ihn geformt hatte, und dass der Unfriede sein ganzes Leben bestimmte. Visikal hatte den Krieger in ihm gesehen und ihn dazu gebracht, die Tirganer auf dem Kriegszug gegen die Vandarer und Mansarer zu begleiten. Und sie selbst war die Belohnung dafür gewesen.
    Etwas später begann Bran ruhiger zu atmen. Sie hatte es gelernt, auf seinen Atem zu lauschen, und wusste, wann ihn der Schlaf von den Schmerzen fortführte. Bran redete oft im Schlaf, er murmelte dann von Lawinen und sprach Namen aus, die sie nicht kannte. Doch wenn die alte Verletzung ihn weinen ließ, sprach er nie. Dann rollte er sich, den Kopf zwischen den Armen, zusammen, als versuchte er, sich zu verstecken. Tir hatte das früher schon gesehen. Als sie noch ausgebildet wurde, erzählten ihr die älteren

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