Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
Vom Netzwerk:
schwarzen Wolken hingen tief über dem Mast, und wenn die Wellen sich hoben, war es, als wollten Himmel und Meer miteinander verschmelzen.
    Das Felsenvolk blieb an diesem Morgen an Deck. Niemand schien daran zu denken, Grütze zu kochen. Die Männer blickten nach Westen und drückten ihre Frauen an sich. Keiner sagte etwas, selbst Kais Sohn und Lillevord verhielten sich ruhig. Storm und Zwei Messer liefen rastlos wie gefangene Wildtiere von einer Reling zur anderen. Sie blickten zu den Wolken hoch und dann wieder zu den Wellen, die sich über die Bordwand erhoben, und starrten in das schwarze Wasser. Vorne am Bugsteven stand Virga und spähte unablässig an den Horizont im Westen.
    Als Bran den gelben Schatten im Wasser entdeckte, wanderte sein Blick instinktiv zur Wolkendecke. Aber der Himmel war noch genauso dunkel wie zuvor; es war also nicht die Sonne, die sich im Wasser spiegelte. Als die nächste Welle über die Reling hinauswuchs, sah er es wieder. Das war kein Schatten, da bewegte sich etwas unter der Wasseroberfläche. Virga zeigte laut schreiend ins Wasser, als Bran einen Widerstand am Ruder spürte.
    »Was ist das?« Dielan lief an die Reling und lehnte sich darüber, wobei er sich an einem Stag festhielt.
    Bran stemmte die Steuerpinne nach unten, und je weiter das Ruder aus dem Wasser kam, desto leichter wurde es.
    »Berav steh uns bei!« Dielan wich von der Reling zurück.
    Das Felsenvolk lief in der Mitte des Decks zusammen, und dann sah Bran, was ihnen solche Angst machte. Die gelben Schatten waren jetzt überall um das Schiff herum. Die glänzenden, kreisrunden Wesen schwebten dicht unter der Oberfläche, und der Wellengang verknotete ihre langen Tentakel unter dem Rumpf miteinander.
    »Das sind Quallen!« Hagdar machte einen Schritt auf die Reling zu, wagte es aber nicht, bis ganz an die Bronzeschilde heranzutreten. »Genau die gleichen wurden auch in unserem Lager im Norden an Land gespült. Erinnert ihr euch nicht mehr? Lillevord hat sich mal an einer verbrannt, als er versuchte, sie hochzuheben.«
    »Aber warum sind die so groß?« Kaer warf Bran einen fragenden Blick zu. »Muss das so sein, Bran? Geht das mit rechten Dingen zu?«
    Bran wusste nicht, was er antworten sollte. Das Schiff schien in eine Stromscheide geraten zu sein; solche breiten Gürtel von Quallen waren Bran nicht fremd. Aber diese Wesen waren über eine Mannslänge breit, und das gelbe Gewirr aus Brenntentakeln erstreckte sich bis in unendliche Tiefen. Er wickelte sich fester in seinen Umhang, denn er wusste, dass es ihm die Haut verbrennen würde, wenn eine dieser Riesenquallen an Bord gespült wurde.
    »Fürchtet euch nicht!«, rief Turvi mit lauter, bebender Stimme. »Das hier ist ein Zeichen! Wenn wir dieses Gewässer durchquert haben, warten auf der anderen Seite schon guter Fahrtwind und ein neues Land auf uns!«
    Zwei Messer spuckte auf das Deck und trat mit seinem Bruder in den Bug. Virga folgte ihnen mit dem Blick, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er zu seinem Volk oder zu seinen alten Kampfgenossen halten sollte. Inzwischen wurden auch beim Felsenvolk erste missmutige Stimmen laut. Turvi senkte den Kopf und sah Bran mit unendlich vielen Runzeln in dem weißbärtigen Gesicht an, und Bran verstand, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen war, zu seinen Leuten zu sprechen. Aber er hatte keine Worte für das, was geschah, keine Prophezeiung für einen glücklichen Ausgang. Seine Träume hatten ihm nur Stürme auf einem blutroten Meer gezeigt und dahinter einen Strand mit schwarzem Geröll, einen Körper, der auf den Wellen trieb, und ein Tal in einem fremden Gebirge.
    »Ich habe gesehen…«, setzte er an.
    »Hast du das hier auch gesehen?« Orm zeigte mit zitternder Hand auf die Quallen. »Begreifst du denn nicht, dass du mit uns auf das Ende der Welt zusteuerst?«
    Bran schluckte. Die glänzenden Quallen dümpelten wie große Inseln auf den Wellen. Er spürte regelrecht, wie das Schiff sich abmühte, durch sie hindurchzupflügen.
    »Wir haben Angst!« Linvi griff nach Hagdars großer Hand und schüttelte den Kopf. »Du musst es uns sagen, wenn du diese Dinge in deinen Träumen gesehen hast!«
    »Ich habe auch Angst!« Bran lockerte den Knoten, mit dem der Umhang vor seinem Hals zusammengehalten wurde. »Glaubt ihr etwa, ich fürchte mich nicht vor dem, was uns erwartet? Glaubt ihr etwa, ich hätte keine Angst gehabt, als ich gegen den Sohn des Inselkönigs gekämpft habe? Als ich die Pfeile der Vandarer vom Himmel

Weitere Kostenlose Bücher