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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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regnen sah?« Er strich sein Haar zurück und legte sein vernarbtes Ohr bloß. »Ich habe gelernt, was Schmerz bedeutet. Ich weiß, was Angst ist!«
    Die Männer sahen ihn ungläubig an, und Bran kannte den Grund. Er war ihr Häuptling. Er durfte keine Furcht zeigen. Turvi zog einen Lederflicken unter dem Hemd hervor, und Bran glaubte, dass er sich damit den Schweiß von der Stirn wischen wollte. Aber der Alte blieb reglos, von Kaer gestützt, stehen.
    In dem Augenblick kam Tir aus der Luke. Bran ließ das Steuerruder ins Wasser sinken und ging zu ihr. Sie streckte Bran die Hände entgegen, damit er ihr hochhelfen konnte. Bran legte den Arm um sie. Die Männer senkten die Blicke, und Turvi schob den Lederflicken zurück unter sein Hemd.
    »Ich musste rauskommen«, sagte Tir. »Mir ist ganz schlecht vom Seegang.«
    Bran half ihr vor in den Bug. Jeder Schritt fiel ihr schwer. Sie lehnte sich zurück und drückte eine Hand ins Kreuz.
    »Sieh dir die Quallen an.« Bran nickte zur Reling. »Wir sind mitten in sie hineingetrieben.«
    Tir stand einen Augenblick da und schaute über das Wasser. Dann schloss sie die Augen und presste die Lippen zusammen. »Jetzt ist es bald so weit«, stöhnte sie.
    Bran stellte sich hinter sie und legte seine Hände auf ihren Bauch. Weit im Süden trieb Nangors Langschiff mit nacktem Mast dahin. Die Frauen begaben sich wieder unter Deck zur Feuerstelle, und kurz darauf stieg Bran der Rauch von getrocknetem Tang in die Nase.
    »Wir müssen abwarten«, flüsterte er. »Und hoffen, dass die Götter uns wohl gesonnen sind. Dann haben wir nichts zu fürchten.«
     
    Sie trieben einen halben Tag durch einen Sumpf aus Quallen. Als die Sonne am höchsten stand, begann der gelbe Teppich sich aufzulösen. Die Quallen falteten ihre schildrunden Körper zusammen und verschwanden in der Tiefe. Die Männer und Frauen lachten über ihre Ängstlichkeit, und bald darauf tönte wieder munteres Stimmengewirr übers Deck. Selbst Storm und Zwei Messer, die von der Reling aus mit ihren Schwertern nach den gelben Schatten in den Wellen gestochen hatten, zogen die Schultern hoch und schoben ihre Waffen zurück in die Scheide.
    Hagdar stellte sich ans Steuerruder, als das Langschiff plötzlich wieder Fahrt aufnahm. Bran und Tir setzten sich zu Dielan und Gwen an den Mast. Konvai krabbelte zwischen ihnen herum und rollte zwei Tannenzapfen auf den Decksplanken hin und her, als Dielan von der Zeit zu erzählen begann, als Gwen auf ihre Niederkunft wartete.
    Bran blieb lange auf dem Vordeck sitzen und hörte Turvi zu, der von dem Meer und dem Land auf der anderen Seite des Sturmrands erzählte. Die Männer blickten verstohlen zu den Wolken hoch und murmelten etwas von Donner und Stürmen. Zwischendurch hörte Bran seinen eigenen Namen fallen, aber er konnte nicht verstehen, was sie über ihn sagten. Seine Aufmerksamkeit war von der drückenden Stille abgelenkt, die über dem Meer lag, von etwas, das ganz tief dort unten darauf wartete, an die Oberfläche zu kommen. Und es waren keine Quallen oder lebende Wesen, sondern es war das Meer selbst, dessen Herz unter dem Schiffsrumpf pochte. Und mit jeder Welle wurden die Schläge kräftiger.
    Als er sich schließlich erhob, hörte er den Wind wispernd durch die Wolken fahren. Er erzählte ihm, dass es bald geschehen würde.
    »Tir«, sagte er. »Ich möchte, dass du unter Deck gehst.«
    Er half ihr aufzustehen und brachte sie zur Luke. Kianna kletterte als Erste nach unten. Und Bran hielt Tir unter den Armen, als sie die Leiter hinabstieg.
    Jetzt erhoben sich auch die anderen Männer auf dem Deck. Dielan sah Bran an. Und Bran nickte und trat an die Reling.
    In dem Augenblick zerschnitt im Süden ein Blitz den Himmel. Das Donnergrollen kam aus den Wolken direkt über Nangors Langschiff. Die Frauen scheuchten ihre Kinder zur Luke und begaben sich mit den meisten Männern unter Deck. Turvi humpelte zur Bordwand und stützte sich mit dem Brustkorb auf der Krücke auf.
    »Jetzt kommt der Sturm, nicht wahr?« Er strich das weiße Haar zurück und blinzelte zu den Wolken hoch.
    »Er kommt«, sagte Bran.
    »Beten wir, dass Kragg uns auf die andere Seite führt.« Turvi schloss die Augen und neigte den Kopf nach vorn.
    Erneut schlug ein Blitz in die Wellen. Unmittelbar danach ertönte das Donnerkrachen. Und da sah Bran, was seine Träume ihm gezeigt hatten. Jetzt sah er das, worüber die Tirganer gesprochen hatten, das, wovor alle sich fürchteten. Aus der Tiefe stiegen rote Ströme

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