Kurs auf Spaniens Kueste
VORWORT DES AUTORS
Wenn man über die Royal Navy des achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts schreibt, lassen sich Untertreibungen kaum vermeiden; der britischen Kriegsmarine jener Zeit voll gerecht zu werden fällt schwer, denn die Realität ist häufig derart unwahrscheinlich, daß sie jede Fiktion weit in den Schatten stellt. Selbst wenn sich ein Autor der wärmsten und eifrigsten Phantasie befleißigte, könnte er nur schwer die schmächtige Gestalt Kommodore Nelsons vor dem Auge des Lesers wieder heraufbeschwören, wie er von seiner zusammengeschossenen Captain , einem Linienschiff mit vierundsiebzig Kanonen, durch die Fensterscheiben ihrer Heckgalerie auf die mit achtzig Kanonen bewaffnete San Nicolas springt und sie erobert; wie er gleich darauf über ihr Deck eilt, um die turmhohe San Josef von einhundertzwölf Kanonen zu entern ... »Worauf ich«, schreibt Nelson, »an Deck eines Spaniers erster Klasse, so extravagant dies scheinen mag, tatsächlich die Degen der besiegten Spanier entgegennehmen konnte. Ich reichte sie an William Fearney weiter, einen meiner Bootsgasten, der sie sich mit der größten Kaltblütigkeit unter den Arm klemmte.«
Die Berichte von Beatson, James und des »Naval Chronicle«, die Admiralitätsakten im Staatsarchiv und die Biographien von Marshall und O’Byrne sind voll anderer Aktionen, die vielleicht nicht ganz so spektakulär waren (schließlich gab es nur einen Nelson), aber gewiß nicht weniger mutig — Aktionen, die so nur von wenigen Schriftstellern erfunden und vielleicht von niemandem restlos überzeugend präsentiert werden können. Deshalb bin ich für die Kampfszenen dieses Buches direkt zu den Quellen gegangen. Aus der großen Fülle brillant geschlagener, aber trocken geschilderter Gefechte habe ich einige ausgewählt, die ich besonders bewundere. Wenn ich also eine Schlacht beschreibe, so kann ich jede Kampfhandlung darin mit Logbüchern, offiziellen Depeschen, zeitgenössischen Berichten oder den Memoiren der Beteiligten belegen. Dennoch fühlte ich mich nicht sklavisch an die genaue zeitliche Abfolge gebunden. Dem Marinehistoriker wird beispielsweise auffallen, daß ich Sir James Saumarez` Gefecht in der Straße von Gibraltar auf die Zeit nach der Traubenlese verlegt habe; und er wird bemerken, daß mindestens ein Gefecht meiner Sophie von einer ganz anderen, allerdings gleich starken Brigg ausgetragen wurde.
Zugegeben, ich habe mir große Freiheiten herausgenommen. Ich habe Dokumente, Briefe und Gedichte ausgewertet, kurz: j'ai pris mon bien la ou je l'ai trouve , und habe nach Bedarf für meine Geschichte Namen, Orte und kleinere Ereignisse geändert — allerdings stets im Rahmen der historischen Genauigkeit.
Was ich damit sagen will: Die bewundernswerten Männer jener Zeit, die Cochranes, Byrons, Falconers, Seymours, Boscawens und die vielen weniger bekannten Seeleute, aus deren Charakterzügen ich meine Figuren bis zu einem gewissen Grad zusammengesetzt habe, ehren wir am besten durch die Wiedergabe ihrer eigenen heldenhaften Taten und nicht durch erfundene Kämpfe. Authentizität ist kostbar. Und das Echo ihrer Worte hat bleibenden Wert.
Gleichzeitig danke ich für den Rat und die Unterstützung, die mir von den geduldigen, belesenen Beamten des britischen Staatsarchivs und des Maritimen Nationalmuseums in Greenwich zuteil wurden; ebenso gilt mein Dank dem kommandierenden Offizier der HMS Victory . Niemand hätte zuvorkommender und hilfreicher sein können.
ERSTES KAPITEL
DIE SIEGHAFTEN KLÄNGE des ersten Satzes von Locatellis C-Dur-Quartett füllten das Musikzimmer der Gouverneursresidenz von Port Mahón, einen geschmackvoll ausgestatteten, achteckigen Raum mit hohen Halbsäulen. Die italienischen Musiker, von den vielen Reihen vergoldeter Barockstühlchen fast an die Wand gedrückt, geigten sich mit wachsender Intensität dem vorletzten Crescendo und der dramatischen Pause entgegen, nach der sich die ganze Leidenschaft in einem tiefen, befreienden Schlußakkord auflöst. Mit ähnlicher Begeisterung gab sich zumindest ein kleiner Teil der Zuhörer auf den zierlichen goldenen Stühlen der wachsenden Spannung hin. Dies galt besonders für zwei Männer in der dritten Reihe links, die nur zufällig nebeneinander saßen. Der Zuhörer links außen war ein Hüne zwischen zwanzig und dreißig Jahren, der das Stühlchen mit seiner Masse förmlich unter sich begrub, so daß nur hier und da ein wenig vergoldetes Holz hervorschimmerte. Er trug die
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