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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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muss man sie nehmen, Häuptling! Wenn die Jungen frech werden, kneifst du sie einfach in die Ohren. Dann kuschen sie!«
    Bran wusste nicht, was er sagen sollte, denn das war sonst gar nicht Turvis Art.
    »Das schwankt ja ganz schön da draußen!« Turvi streckte die Arme über den Kopf und jammerte laut, als das Schiff jäh nach unten sackte. »Ich hoffe, du hast einen tüchtigen Mann am Steuerruder, Noj. Der junge Hagdar ist aus gutem Holz. Und Febals Ältester wird sicher mal ein guter Jäger.«
    Bran schüttelte den Kopf. Turvi sah ihm in die Augen und hob den Zeigefinger. »Morgen werden wir einen Schluck auf die Jungen trinken, Noj. Auf die nächste Generation. Und auf unsere hübschen Frauen!«
    »Aber…« Bran schob sich das Haar aus dem Gesicht. »Ich bin nicht Noj! Ich bin Bran! Ich bin doch Febals ältester Sohn!«
    »Ja.« Turvi gähnte. »Bran wird ein guter Jäger werden. Aber jetzt sieh zu, dass du in dein eigenes Zelt kommst, Noj. Den Kretterwein sparen wir uns für morgen auf.«
    Kaer massierte sein Ohrläppchen. »Vater hat den Verstand verloren. Er hält dich für Noj.«
    Eyna hielt Turvi fest, als das Schiff sich hob. »Er ist erschöpft. Lasst ihn schlafen. Wenn er aufwacht, wird er sich wieder an alles erinnern.«
    Bran hielt sich fest, als das Schiff über einen Wellenkamm kippte. Eyna klammerte sich mit einem Arm an einen Balken, mit dem anderen hielt sie Turvi. Danach wälzte das Langschiff sich weiter durch das Meer. Bran kroch zu den Ruderbänken. Der alte Turvi lag gut gepolstert zwischen den Fellen, aber Bran hatte ein ungutes Gefühl. Eyna schien ihn schon häufiger so erlebt zu haben. Verlor Turvi vielleicht langsam den Verstand? Er war der Einzige, der Schriftzeichen lesen und Karten entziffern konnte. Und er war der Einzige, der niemals Zweifel gezeigt hatte. Er war immer eine Stütze für ihn gewesen. Was sollte er machen, wenn die anderen mitbekamen, dass Turvi sich nicht mehr daran erinnern konnte, dass Noj tot war?
    Während der Rumpf unter seinen Knien vibrierte, kroch Bran an den Ruderbänken vorbei. Männer, Frauen und Kinder hatten die Arme um die Balken geschlungen und sich mit Seilen daran festgebunden. Ihre Angst war zu groß, als dass sie etwas hätten sagen können, aber die Furcht stand ihnen in die Gesichter geschrieben. Der Gestank von Erbrochenem wurde mit dem Wasser unter die Bodenbretter gespült.
    Er fand Tir und Kianna in der Schlafmulde im Bugraum. Tir lag auf dem Rücken unter einem Bärenfell. Kianna hielt ihre Hand. Tirs Stirn war schweißnass und sie biss die Zähne zusammen, als ob sie starke Schmerzen hätte.
    »Ist es so weit?« Bran sank neben ihr auf die Knie. Er bereute es, sie mitgenommen zu haben. Als das Schiff sich erneut auf die Seite legte, spürte er ihre Fingernägel auf seiner Haut. Sie stöhnte und kniff die Augen zusammen. Bran wandte sich an Kianna, die sich zurückgezogen hatte und an einem Balken festhielt.
    »Muss das so sein, Kianna?« Er legte eine Hand auf Tirs Stirn. Sie war warm und feucht.
    »Das muss der Sturm sein«, sagte Kianna. »Die Stöße sind so spät in der Schwangerschaft schmerzhaft für sie. Aber es kann noch etliche Tage dauern, bis es so weit ist.«
    Bran legte sich neben Tir und schlang seinen Arm über ihre Brust.
    »Das hier… die Stürme am Ende der Welt…« Sie drehte den Kopf zur Seite und sah ihn an. Sie weinte. »Ich habe Angst, Bran. Bleib bei mir.«
    Bran strich ihr über die Wange, und als das Schiff sich das nächste Mal aufbäumte, hielt er sie fest. Er verbarg das Gesicht in ihrem Haar, schloss die Augen und bat die Namenlosen, ihre Schmerzen zu lindern.
     
    Erschöpft wie er war, vermochte nicht einmal der Sturm, ihn wach zu halten. Bran schlief, die Arme um Tir geschlungen. Im Schlaf hielt er sie fest und suchte mit den Füßen Halt an den Balken. Während das Felsenvolk vor Furcht weinte und klagte, schlief Bran tief und fest, ohne auch nur einmal an Hagdar zu denken, der oben mit dem Steuerruder kämpfte. Erst als er Hagdar rufen hörte, rieb er sich den Schlaf aus den Augen. Ein Leben in den Bergen hatte ihn gelehrt, auch im Schlaf zu lauschen, und obgleich der Sturm und die Wellen Hagdars Hilferuf übertönten, spürte Bran ihn mit jeder Faser. Er kam auf die Beine und stützte sich an einem Balken ab. Das Schiff bebte wie ein Krieger unter dem Schwert des Feindes. Er schaute zu den Decksplanken hinauf.
    Das Krachen brachte den Schiffskörper zum Klingen. Es knarrte und kreischte, etwas Schweres

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