Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
Vom Netzwerk:
Lichtpfeile schossen übers Meer. Und wenn er zu der schwarzen Kuppel aus Feuer und Donner hochsah, glaubte er die verzerrten Gesichter fremder, böser Götter zu erkennen. Ihre Blitzspeere durchbohrten die Wellen und zischten fauchend um das Schiff. Bran brüllte ihnen wie ein Wahnsinniger entgegen, er schrie vor Angst und Wut. Er rief Cernunnos an, aber nicht einmal Der, der Hörner trägt, konnte jemals gegen derartige Mächte gekämpft haben.
    Nangors Langschiff war schon lange nicht mehr zu sehen. Wenn die Wellen das Schiff hochhoben, versuchte Bran, über die Bordwand zu spähen. Er starrte nach backbord und nach steuerbord, über den Bug und zurück über den Achtersteven. Der Sturm hatte ihm jegliche Orientierung genommen. Und selbst, als die Blitze den Himmel in Brand steckten, sah er nichts anderes als ein endloses Meer von Wellen – lebendig gewordene Berge, die in einem hemmungslosen Tanz um das Schiff herumwirbelten. Sie spülten um seine Beine und wälzten sich über das Deck. Hagdar, Virga und Orm saßen um den Mast und klammerten sich an den Fallseilen fest. Storm und Zwei Messer waren noch immer verschwunden. Er verfluchte den Sturm, der sie vom Bugsteven losgerissen und in der blutroten See hatte ertrinken lassen. Die zwei hatten an seiner Seite gekämpft, waren seine Kampfgenossen und Freunde gewesen. Und jetzt hatten die Götter des Zorns sie von ihm fortgerissen. Sollte denn keiner der zehn Männer, die mit ihm gekämpft hatten, überleben? Nur noch Virga und Nangor waren übrig. Und der alte Tarba, der einsam in Tirga zurückgeblieben war. Bran spürte unendliche Trauer bei dem Gedanken an Tirga. Er fühlte Reue. Nicht, weil er in See gestochen war – seine Träume hatten ihm gar keine andere Wahl gelassen. Aber er bereute es, dass er sein Volk mit auf diese Reise genommen hatte. Er bereute es, dass er Tir mitgenommen hatte.
     
    So verging eine Ewigkeit, wie es Bran vorkam. Erst, als seine Arme zu zittern begannen, begriff er, dass das Meer dabei war, ihn zu besiegen. Er versuchte mit der anderen Hand zuzugreifen, aber seine Finger waren steif wie Krallen. Und er fror so sehr, dass seine Kiefer schmerzten und das Wasser auf seiner Haut brannte.
    »Hagdar!« Er schrie so laut er konnte, aber die durchnässten Gestalten am Mast rührten sich nicht. Wenige Armlängen von der Reling entfernt ging ein Blitz nieder und ließ das Meer wie frisch geschmiedete Bronze aufglühen. Die Stimmen im Wind heulten vor Schmerz. Er rief noch einmal, hatte aber nicht einmal mehr die Kraft nachzusehen, ob seine Rufe erhört wurden. Er schob das Ruder nach steuerbord und richtete den Schiffskörper auf. Sie stellten ihn auf die Probe, die namenlosen Geister des Meeres und des Windes. Sie wollten sehen, wie viel er ertrug.
    Er erinnerte sich an die Schlacht bei Oart, als er durch das Eiswasser zu dem Langschiff geschwommen war. Damals hatte die Kälte nach ihm gegriffen. Sein nasses Haar hatte sich wie ein Eiskranz um seinen Kopf gelegt. Aber er hatte gekämpft. Er hatte den Schwertern der Vandarer gegenübergestanden und an Keers Seite gekämpft.
    »Cernunnos!« Bran wandte das Gesicht zu den Wolken. »Sieh mich an! Sieh meine Stärke!« Ein Brecher riss ihm die Beine unterm Körper weg, aber seine ans Steuerruder gebundene Hand hielt ihn fest. Er stand wieder auf, stemmte sich mit den mit Wasser voll gelaufenen Stiefeln gegen die Bordwand und zog das Ruder zu sich. Da sah er Hagdar, der eine Speerlänge von ihm entfernt auf dem Boden kauerte. Der große Mann bewegte sich mit Hilfe von zwei Messern übers Deck. Er hatte sich einen Pelzumhang um die Schultern gebunden.
    »Halt aus, Bran! Ich übernehme das Ruder!« Er zog sich eine Armlänge nach vorn und rammte ein Messer ins Deck. »Dielan…« Der bärtige Kopf verschwand in einer Welle. »Dielan hat mir den Pelz durch die Luke gereicht. Die Messer sind von Virga.« Er löste den Gürtel um Brans Hand. Dann steckte er die Messer ins Deck und kroch zum Achtersteven.
    Bran sackte unter dem Ruder zusammen und griff nach den Messern. Aber ehe er sie ins Holz rammen konnte, spülte ihn eine Welle über Deck auf den Mast zu. Er spürte eine Hand am Gürtel und hörte gleich darauf Virgas Stimme, die etwas von Zwei Messer und Storm heulte.
    »Ich weiß!« Bran griff nach einem Fall und setzte sich auf. Virgas langes Haar hing ihm wie ein Schleier vor den Augen. Der offen stehende Mund zitterte. Bran gab ihm die Messer und schubste ihn in Richtung Luke, inständig

Weitere Kostenlose Bücher