Das Verhör
in der Schlange standen. Jason fuhr herum und stieß Bobo zurück, stemmte sich mit beiden Händen gegen seine Brust. Bobo trat verdutzt zurück. Jason dachte daran, was Bobo Rebecca angetan hatte, und er dachte an seine vielen anderen Gemeinheiten. Und da versetzte er Bobo einen Schlag mit der Faust, überraschte sich damit selbst genauso wie Bobo. Blut spritzte aus Bobos Nasenlöchern, während er hintenüberfiel, auf dem Hintern landete und schmerzlich aufheulte.
Er wischte sich das Blut vom Gesicht, schaute dabei zu Jason hoch und rief: »Warum hast du das gemacht?« Wie ein kleiner Junge, mit bebendem Kinn. Jason, von einem erregenden Triumphgefühl gepackt, stand grinsend da. Bobo wurde ins Krankenzimmer gebracht und Jason zum Büro des Direktors, wo er die nächsten beiden Stunden allein im Vorraum herumsitzen musste. Schließlich rief Mr Hobart, der Direktor, ihn in sein Zimmer und hielt ihm einen Vortrag. Über Gewalt und dass man damit keine Probleme lösen konnte. Und dass Gewalt ohne eine vorausgegangene Provokation die allerschlimmste war.
Ohne Provokation? Jason hatte das Wort noch nie gehört, wusste aber auf Anhieb, was es bedeutete.
»Ein leichter, vielleicht sogar unbeabsichtigter Schubs von einem Klassenkameraden berechtigt keinesfalls zu einer solchen Vergeltungsmaßnahme«, sagte Mr Hobart.
Jason konnte ihm nichts davon erzählen, was Bobo mit Rebecca Tolland gemacht hatte; er wusste, dass Rebecca das nur peinlich gewesen wäre. Und so hörte er sich an, was Mr Hobart über Gewalt und die Sinnlosigkeit von Rache sagte, und nickte dazu, war dabei aber die ganze Zeit über glücklich. Er hatte etwas unternommen. Er war aktiv geworden. Er hatte Bobo Kelton eine verpasst. Ihm die Nase blutig geschlagen. Er nahm nicht an, dass er je wieder jemanden schlagen würde, aber immerhin hatte er bewiesen, dass er dazu fähig war. Und in diesem Augenblick, dort im Zimmer des Direktors, während die Worte von Mr Hobart die Luft, aber nicht seine Ohren erfüllten, leistete er den Schwur, nie wieder zu weinen. Die Verbindung zwischen dem Fausthieb auf Bobo Keltons Nase und seinem Entschluss, nicht mehr weinen zu wollen, war ihm selbst nicht ganz klar, aber es gab eine, da war er sich sicher.
Der Vorfall krempelte sein Leben nicht um. Rebecca Tolland stürzte sich nicht in seine Arme, wie sie es in einem Kinofilm getan hätte. Tatsächlich ignorierte sie ihn, so wie sonst auch. Er war immer noch schüchtern und fand es schrecklich, wenn er im Unterricht Fragen beantworten musste. Die anderen in der Klasse sahen ihn ein paar Tage lang neugierig an, aber niemand sagte etwas. Man jubelte ihm nicht zu, buhte ihn aber auch nicht aus. Bobo hielt sich von ihm fern. Nach wie vor war Jason beim Essen in der Cafeteria meistens allein oder saß stumm daneben, wenn noch andere am Tisch waren. Manchmal setzte sich Danny Edison zu ihm, der auch ein Außenseiter war, aber sie redeten nicht viel miteinander.
Doch von diesem Tag an weinte Jason nicht mehr. Keine Tränen auf den Wangen, kein bebendes Kinn. Bis jetzt, in seinem Zimmer, sein Kinn wie wild zu wackeln begann, als er daran dachte, was Alicia Bartlett widerfahren war.
Er wandte sich ab, als Emma ins Zimmer kam, wie üblich ohne anzuklopfen. Das nervte ihn manchmal, aber jetzt freute er sich über ihr Erscheinen. Er riss sich zusammen und bekam sein Kinn unter Kontrolle, während er sie sagen hörte: »Das mit Alicia Bartlett ist wirklich ein Jammer.« Nach einer Pause setzte sie hinzu: »Alles in Ordnung mit dir, Jason?«
Er nickte, schaute dabei zum Fenster hinaus.
»Du hattest sie sehr gern, stimmt's?«
Jason nickte wieder und beobachtete einen Streifenwagen, der langsam die Straße entlangfuhr. Er verrenkte sich fast den Hals, um den Weg des Wagens verfolgen zu können.
»Hast du ihr nicht immer bei ihren Puzzles geholfen?«, fragte Emma.
Jason sah zu, wie der Streifenwagen drei Häuser weiter wendete.
»Ich hab ihr nicht wirklich geholfen. Sie war im Puzzeln echt gut. Aber ich hatte meinen Spaß an ihr.«
»Ich konnte sie eigentlich gar nicht leiden«, sagte Emma.
Jason wandte sich überrascht zu ihr um. Alicia hatte ihn immer an Emma erinnert.
»Ach, ich weiß, dass man über Verstorbene nur Gutes sagen soll. Aber ich fand, dass sie eine richtige Landplage war. Tat so, als wäre sie was Besseres. Lief immer in Kleidchen herum. Dabei war sie doch erst sieben, Himmel noch mal.«
Jason schaute Emma an, als sähe er sie zum ersten Mal. Aber vielleicht
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