Das Verhör
hatte sie ja Recht. Alicia war ihm manchmal ganz schön auf die Nerven gegangen. Sie konnte launisch sein, hatte an manchen Tagen keine Lust zum Reden. Einmal hatte sie ihn mit der Begründung nach Hause geschickt, dass sie für Besuch nicht in Stimmung wäre. Aber meistens hatte ihr damenhaftes Gehabe ihn amüsiert. Und sie hatte auf ihn gehört. Das war mehr, als er von den meisten Leuten sagen konnte.
»Aber es tut mir Leid, dass sie sterben musste. Auf so schreckliche Weise«, sagte Emma.
»Mir tut es auch Leid«, sagte Jason.
»Meinst du, dass ich ein grässlicher Mensch bin? Weil ich das über sie gesagt habe?«
Emma sah aus, als könnte jetzt ihr Kinn jeden Moment ins Wackeln geraten, und in ihren Augen lag plötzlich ein Glitzern, so als bildeten sich dort verborgene Tränen.
Jason hatte Angst, dass auch er gleich weinen würde. »Nein«, sagte er.
In diesem Augenblick hörten sie es klingeln.
Kurz darauf kam seine Mutter an die Tür und sagte, dass ein Polizeibeamter mit ihm über den Mord an Alicia Bartlett sprechen wolle.
Der Letzte, der Alicia Bartlett lebend gesehen hatte?
»Bis auf den Mörder, versteht sich«, fügte Detective Lieutenant Braxton rasch hinzu.
Jason prallte zurück, als hätte ihn jemand in den Bauch geboxt, so wie damals, als er beim Touchfootball so heftig mit Rod Pearson zusammengestoßen war, dass ihm die Luft wegblieb. Er hatte gejapst, so wie er es auch jetzt tat, nur stellte er diesmal erleichtert fest, dass die Lunge sich wieder mit Luft voll pumpte, nicht so wie damals, als er am Boden lag und auf den Erstickungstod wartete.
Der Detective heftete den Blick seiner schwarzen Augen unverwandt auf Jason. Sein Gesicht war so hager, als wäre alles Fleisch straff nach hinten gespannt worden. Die Augen waren blutunterlaufen. Jasons Mutter hatte ihm eine Tasse Tee angeboten, die er jedoch abgelehnt hatte, mit einem knappen »Entschuldigen Sie, Mrs Dorrant, aber die Zeit drängt und ich habe einige wichtige Fragen an Jason«. Dann hatte er sich Jason zugewandt, sich zu ihm vorgebeugt und gesagt: »Du musst jetzt gut nachdenken, Jason, und mir alles sagen, was du von diesem letzten Besuch bei Alicia noch weißt.«
Später wurde Jason bewusst, dass er dem Detective die Ereignisse des Nachmittags, an dem Alicia gestorben war, nicht ganz genau geschildert hatte. Nicht dass er gelogen hätte. Er hatte die Wahrheit gesagt. Unter dem Blick des Detective Lieutenants, der seine Augen wie ein doppelläufiges Gewehr auf ihn richtete, hatte Jason seine Schnellfeuerfragen nach besten Kräften beantwortet. Aber er war noch nie von der Polizei befragt worden und es war auch noch nie eine Freundin von ihm ermordet worden. Wenn der Detective seine Fragen stellte, wirkte er auch immer so ungeduldig, dass Jason froh war, wenn er eine schnelle Antwort parat hatte.
Zum Beispiel hatte er auf die Frage, ob an jenem Nachmittag bei Alicia zu Hause alles normal gewesen wäre, ohne zu zögern mit »Ja« geantwortet. Es war ja auch alles normal gewesen. Alicia hatte wie üblich über ihrem Puzzle gebrütet und ein großes Getue darum gemacht, obwohl sie ein Ass darin war, die Teile an die richtigen Stellen zu legen. Brad, ihr Bruder, hatte sich als Nervensäge aufgeführt, auch das war so wie immer. Er war im Pool herumgehüpft, hatte seine Kumpel Greg Chavin und Marv Galehouse geschubst und gestoßen, und das alles mit viel Gekreische und Geschrei.
Hin und wieder war Brad mit einem Satz aus dem Pool gesprungen und hatte sich wie ein großer Hund geschüttelt, dass die Wassertropfen von seinem Körper flogen und fast das Puzzle voll gespritzt hätten. Damit wollte er Alicia wütend machen. Auch das war nichts Neues. Brad versuchte jeden wütend zu machen, wobei er Jason an diesem speziellen Nachmittag allerdings verschont hatte. Offen gestanden war Brad ein Widerling. Konnte nicht still sitzen. Wenn er mit einem sprach, haute er einem zwischendurch mit der flachen Hand vor die Brust, auch wenn er es nur freundschaftlich meinte. Und deshalb sagte Jason dem Detective, dass an diesem Nachmittag alles ganz normal war.
Der Detective schob daraufhin sofort eine Frage hinterher, die sich für Jason so anhörte, als würde dieselbe Frage noch mal gestellt, nur anders formuliert.
»Machte Alicia einen bedrückten Eindruck auf dich? War sie durch irgendetwas aus der Fassung gebracht?«
Jason dachte kurz nach. »Also, sie kam mit ihrem Puzzle nicht so ganz klar. Es war ein schwieriges, so ungefähr
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