Das Verhör
musst«, sagte sie und strich ihm über die Wange.
Auf dem Weg in sein Zimmer dachte Jason darüber nach, ob er es wirklich so gut gemacht hatte, wie seine Mutter meinte. Er warf sich aufs Bett, versuchte seine Gedanken zu ordnen und sich noch einmal genau vor Augen zu führen, was an diesem Nachmittag geschehen war. Was hatte er dem Detective nicht erzählt? Und konnte etwas davon vielleicht doch von Bedeutung sein?
Was er nicht erzählt hatte: Dass er sich selbst Gedanken darüber machte, ob noch etwas anderes als das Puzzle Alicia an diesem Nachmittag so aus der Fassung gebracht hatte und ob Brad etwas damit zu tun hatte.
Ihm fiel wieder ein, wie Alicia immer wieder zum Pool hinübergesehen und Brad zugerufen hatte, er solle doch leiser sein. »Wie zum Teufel soll ich mich bei dem Krach denn konzentrieren?«, hatte sie geschrien.
Zum Teufel hörte sich aus ihrem Mund fremd und seltsam an. Das war zwar nicht gerade ein Fluch, aber es hatte ihn doch schockiert, weil es von Alicia kam, die so ein sittsames, auf gute Manieren bedachtes kleines Mädchen war.
»Was ist denn los, Alicia?«, hatte Jason gefragt. »Hast du dich über irgendwas geärgert?«
»Nicht mehr als sonst auch«, hatte sie gesagt und mit dem Kinn auf Brad und seine Freunde gewiesen. »Er bringt mich zur Weißglut.«
Voller Bewunderung und Zärtlichkeit schüttelte Jason den Kopf. Zur Weißglut. Ein Ausdruck, wie ihn Omas verwendeten. Das war der Grund, weshalb er seinen Spaß an ihr hatte. Sie verhielt sich manchmal wie eine kleine alte Dame, so als stammte sie aus einer früheren Zeit. Während die meisten Kinder stundenlang im Internet surften, legte sie Puzzles. Sie trug fast immer ein Kleid und ließ sich auch an heißen Tagen nur selten in Hosen oder Shorts blicken. Und sie schimpfte mit Brad herum, als wäre sie seine große Schwester und nicht die kleine.
Jason schloss die Augen und rief sich ins Gedächtnis zurück, wie er und Alicia gemeinsam am Puzzle gearbeitet hatten und sich dabei alle Mühe gaben, die Albereien am Pool zu ignorieren. Allmählich kam Alicia voran. Sie fügte eine ganze Reihe von Puzzleteilen an der richtigen Stelle ein, dabei runzelte sie aber auch weiterhin die Stirn und schimpfte vor sich hin.
Brad und seine Kumpel kamen schließlich aus dem Pool in die Sonne, nahmen ihre Handtücher und rubbelten sich ab. Brad schlenderte zur Terrasse herüber und blieb dort stehen, eine dunkle Silhouette vor dem Hintergrund der Sonne.
»Was würde wohl passieren, Alicia, wenn ich ins Stolpern käme und ganz aus Versehen den Kartentisch umwerfen würde?« Dabei legte er eine besondere Betonung auf das Wort Versehen.
Alicia bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. »Hast du heute nicht schon genug angerichtet?«, fragte sie mit einer Stimme, die so kalt wie ein Eiszapfen war, ganz und gar nicht die Stimme einer kleinen Schwester.
Brad stand einfach nur da, mit der Sonne im Rücken, das Gesicht im Schatten, sodass sich sein Gesichtsausdruck nicht erkennen ließ.
Alicia sah ihn unverwandt an, als wartete sie auf Antwort. »Stimmt doch, oder?«, sagte sie und spuckte die Worte förmlich aus.
Brad wandte sich unvermittelt ab und ging wieder zu seinen Freunden. Als Jason das nächste Mal wieder aufsah, waren sie verschwunden. Die Stille, die sie zurückließen, lastete schwer über dem Pool.
Alicia murmelte etwas vor sich hin.
»Was hast du gesagt?«, fragte Jason.
»Sei froh, dass du's nicht weißt«, sagte sie. Und das war der Moment, in dem sie mit der Hand über den Tisch fuhr und die Puzzleteilchen in alle Himmelsrichtungen davonfliegen ließ.
Eine Weile blieb sie sitzen und betrachtete die verstreuten Puzzleteile. Jason dachte schon, dass sie gleich weinen würde. Stattdessen sagte sie: »Ich bin das Puzzeln leid. Holen wir uns was Kaltes zu trinken. Mom hat Limonade gemacht.«
Es zuckte um ihren Mund und ihre Hände zitterten.
Auch Jasons Mund zuckte jetzt, als er die Augen wieder aufmachte und zum Rauchmelder an der Decke hochstarrte. Hätte er das dem Detective in allen Einzelheiten schildern sollen? Oder hatten sich Alicia und Brad nur wieder mal gezofft? Geschwistergezänk. Hätte er dumm dagestanden, wenn er dem Detective davon erzählt hätte und sich dann herausstellte, dass nichts dahinter steckte? Er hatte in seinem Leben schon viel zu oft dumm dagestanden. Und überhaupt, was spielte das jetzt noch für eine Rolle? Alicia war tot. Diese Erkenntnis überwältigte ihn und jagte ihm kalte Schauer über
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