Das Verlies
sich, sie zu sehen.
Wolfram zog mit Markus und Andrea in den Vordertaunus, wo er sich ein unscheinbares Haus von dem Geld kaufte, das sein Bruder ihm vermacht hatte. Markus leidet nach dem Tod seiner Mutter schlimmer denn je unter Angstzuständen, kann nicht allein sein, hat Verlustängste, und seine schulischen Leistungen haben rapide nachgelassen. Er muss sich einer Therapie unterziehen, deren Ende noch lange nicht abzusehen ist, doch Wolfram Lura ist sicher, dass auch für seinen Neffen der Tag kommen wird, an dem für ihn das Leben wieder einen Sinn bekommt.
Im November zog das gesamte alte Präsidium samt Nebenstellen in den Neubau an der Ecke Eschersheimer Landstraße/Adickesallee, wo bis vor ein paar Jahren noch ein Einkaufszentrum der US-Army stand. Ein riesiger rechteckiger Komplex, von dem Hellmer sagte, dass es schon von außen wie ein Stasi-Gebäude der ehemaligen DDR aussehe. Dabei hatte er gegrinstund gemeint, na ja, nicht ganz, ein bisschen moderner vielleicht, aber … Eine düster-graue Fassade mit etwas Weiß dazwischen und viel Glas, aber es würde nie jene Atmosphäre besitzen wie der alte Bau im Dreieck Friedrich-Ebert-Anlage, Mainzer Landstraße und Ludwigstraße. Hier würden sich vermutlich nie die Zeichen der Vergangenheit verewigen, Blutspuren an den alten Wänden, der teils muffige Geruch aus Zeiten, da Julia Durant noch nicht einmal geboren war, das Hallen der Schuhe auf den ausgetretenen Gängen. Hielt sie sich früher schon nicht gerne im Büro auf, weil sie Berichte-Schreiben und Akten-Aufarbeiten hasste, so würde dies hier noch viel weniger der Fall sein. Es war eine moderne Sterilität, leblos, kalt, unpersönlich. So kalt wie die Arrestzellen mit dem grellen Licht und kalten Fließen an den Wänden und auf dem Boden. So kalt wie die Technik, die mittlerweile die totale Überwachung ermöglichte. Mit einem Hubschrauberlandeplatz am Südteil. Mit acht Innenhöfen, die angeblich die Sterilität auflockern sollen, ein Hof sogar gänzlich mit hoch gewachsenen Bäumen bepflanzt. Aber sobald man die Eingangshalle betritt, zieht ein eisiger Wind, scheinbar aus allen Ecken kommend, in den Höfen ist es kalt, in vielen Büros jedoch, so unken einige Kollegen, wird es im Sommer brütend heiß sein, da man trotz aller Technologie auf eine Klimaanlage verzichtet hat. Alles für die Technik, kaum etwas für den Menschen. Bereits bei ihrem ersten kurzen Rundgang wusste Durant, dass dieses Gebäude ihr immer fremd bleiben würde.
Das Büro von Julia Durant liegt jetzt im vierten Stock, ein steriles Einheitszimmer wie hunderte andere auch, aber sie hat sich vorgenommen, es so herzurichten, dass sie sich wenigstens einigermaßen wohl fühlen kann. Eine ihrer ersten Handlungen war, sich zwei Grünpflanzen ins Fenster und ein Bild ihrer Eltern auf den Schreibtisch zu stellen. An den Wänden hängen drei Bilder von Südfrankreich, eines davon mit Susanne Tomlin und ihren beiden Kindern. Sie schreibt sich noch immer regelmäßig mit ihrer besten Freundin, und es steht schon jetzt fest, dass sie auchden nächsten Sommerurlaub bei ihr in Südfrankreich verbringen wird.
Nach dem ersten Prozesstag ging sie am Abend in eine Bar in der Innenstadt, lernte dort einen netten Mann kennen, sie tranken etwas zusammen und verbrachten eine gemeinsame Nacht in einem Hotelzimmer. Als sie sich am nächsten Morgen voneinander verabschiedeten, kannte noch immer keiner den Namen des andern. Und das ist auch gut so, dachte Julia Durant.
Vom Autor sind außerdem erschienen:
Der Finger Gottes
Die Bankerin
Tod eines Lehrers
Die Julia-Durant-Krimis:
Jung, blond, tot
Das achte Opfer
Letale Dosis
Der Jäger
Das Syndikat der Spinne
Kaltes Blut
Zum Buch:
Rolf Lura, ein erfolgreicher Autohändler, ist verschwunden. Seine Frau kann sich nicht erklären, was passiert sein könnte. Alle Spuren führen zunächst ins Nichts.
Julia Durant und ihr Team stehen vor einem Rätsel, doch dann finden sie heraus, dass Luras Frau ein Verhältnis mit seinem besten Freund Werner Becker gehabt hat und dass Rolf Lura ein echter Tyrann gewesen sein muss. Haben Becker und seine Geliebte den unliebsamen Ehemann umgebracht? Gerade als sich dieser Verdacht zu bestätigen scheint, verschwindet auch Werner Becker spurlos, und die Kriminalisten um Julia Durant müssen ganz von vorne anfangen.
Sie stoßen auf eine erschütternde Familientragödie …
Über den Autor:
Andreas Franz wurde in Quedlinburg geboren. Er hat
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