Das Verlies
überrascht, dass er sich widerstandslos festnehmen ließ. Hellmer und Kullmer holten noch ein paar Sachen zum Anziehen aus den jeweiligen Wohnungen, bevor sie losfuhren.
Um kurz nach elf kamen sie im Präsidium an. Sie besprachen sich noch zehn Minuten, bevor sie mit dem Verhör in getrennten Zimmern begannen. Hradic und Wassilew waren bereits polizeilichregistriert wegen Handels mit Ecstasy, Hradic zusätzlich wegen schwerer Körperverletzung. Die vor zwei Jahren verhängten Strafen waren allerdings zur Bewährung ausgesetzt worden, weil die Prognose der Jugendgerichtshilfe positiv ausgefallen war. Ein Irrtum, wie sich einmal mehr herausstellen sollte.
»Ich will meinen Anwalt sprechen«, sagte Wassilew, der Kleinere der beiden, aber der Anführer, was er allein durch sein Auftreten demonstrierte. Klein und drahtig, kurz rasiertes dunkles Haar und stechende dunkle Augen, der Körper ein einziges Muskelpaket, an dem kein Gramm Fett war. Hradic war fast einen Kopf größer, ebenfalls muskulös, aber er konnte zum einen nicht so gut Deutsch, zum andern gehörte er zu den Mitläufern, denn allein wie er Hilfe suchend Wassilew ansah, als sie in getrennte Zimmer geführt wurden, sprach Bände. Ohne seinen großen Boss neben sich war er hilflos, ein Nichts, und es war nur eine Frage der Zeit, bis er aufgeben und gestehen würde. Mit ihm, das wusste Durant, würden Kullmer und Seidel leichtes Spiel haben, ein paar Suggestivfragen, ein paar angebliche Aussagen von Wassilew, was den Tathergang betraf. Hradic war brutal, aber Durant kam er vor wie ein kleines unmündiges Kind, das im Grunde seines Herzens naiv war. Er gehörte zu jenen, die einen Anführer und entsprechende Befehle brauchten. Wahrscheinlich, so mutmaßte Durant, war er sogar ein eher umgänglicher junger Mann, der nur in schlechte Gesellschaft geraten war.
»Ihren Anwalt kriegen Sie schon, aber erst haben wir ein paar Fragen an Sie«, erwiderte Durant ruhig.
»Ich hab noch nicht gefrühstückt.«
»Frank, sag mal draußen Bescheid, die sollen zwei belegte Brötchen und Kaffee bringen. Wir wollen doch nicht, dass unser Kleiner an Unterernährung stirbt«, sagte sie spöttisch.
Die Vernehmung dauerte zwei Stunden. Wassilew frühstückte, aber er blieb stur und sah die Kommissare immer wieder nurkalt an, ohne etwas zu sagen, außer dass er hin und wieder ein paar russische Flüche ausstieß. Durant begab sich zu Kullmer und Seidel, die Hradic bereits einiges entlockt hatten, womit er Wassilew schwer belastete. Mit diesem Wissen ging sie zurück zu Wassilew und Hellmer und besprach sich mit ihm. Hellmer nickte bloß.
»Also, Herr Wassilew, machen wir’s kurz. Ihr Freund hat bereits gestanden. Das Problem ist nur, er behauptet, Sie hätten die Tat begangen. Er sagt, er wollte nicht, dass Herr Beck stirbt. Angeblich hätten Sie gesagt, Sie wollten den Alten überfallen, ihn fesseln und knebeln und dann ausrauben. Aber dann ist alles ganz anders gekommen.«
»Erzählen Sie das Ihrer Großmutter. Mirko würde nie so einen Scheiß labern. Der ist doch viel zu blöd in seiner Birne! Außerdem sollten Sie sich mal seine Akte anschauen, der ist wegen schwerer Körperverletzung verurteilt worden. Ich hab nur mal mit Pillen gehandelt.«
»Wer hier blöd ist, wird sich noch rausstellen. Ein Geständnis kommt beim Richter jedenfalls immer gut an.«
»Hradic ist ein Arschloch«, erwiderte Wassilew mit abfällig heruntergezogenen Mundwinkeln. »Der lügt doch, wenn er die Fresse aufmacht.«
»Aber er ist doch Ihr bester Freund, oder?«
»Scheiße, ich hab keine Freunde, klar?! Ich bleib dabei, ich hab keinen umgebracht. Oder seh ich so aus?«, fragte er grinsend.
»Ja, irgendwie schon. Ihr Freund hat einige Details genannt, die nur der Täter und wir wissen können, denn in der Zeitung hat nichts davon gestanden. Wissen Sie, es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Spurensicherung Hinweise findet, die beweisen, dass Sie sich am Tatort aufgehalten haben. Und wenn es nur ein paar Stofffasern sind oder Abdrücke von Schuhsohlen oder vielleicht sogar Fingerabdrücke.« Sie machte eine Pause, zündete sich eine Zigarette an und stellte sich ans Fenster. »Außerdemgibt es noch einen ungeklärten Mordfall, der sich ähnlich abgespielt hat wie der letzte Woche. Vor ziemlich genau vier Monaten wurde in Zeilsheim eine alte Frau in ihrer Wohnung überfallen. Sie wurde wie Herr Beck gefesselt und geknebelt und ist schließlich gestorben, weil sie keine Luft mehr bekommen
Weitere Kostenlose Bücher