Das verlorene Gesicht
spontan: »Ich liebe dich.« »Mein Gott, jetzt machst du mir wirklich Angst. Es passiert nicht oft, dass du sentimental wirst.« Verlegen fügte sie hinzu: »Ich liebe dich auch, Eve«, und legte hastig auf. Eve legte den Hörer auf. Gefühle zum Ausdruck zu bringen, war ihnen beiden noch nie leicht gefallen. Zu viele Jahre lang während Eves Kindheit hatten sie keinen Draht zueinander gehabt. Aber Sandra wusste, dass Eve sie liebte. Sie brauchte es nicht zu sagen. Sie wappnete sich. Jetzt kam Joe dran. Schnell wählte sie Joes private Nummer. Er nahm sofort ab. »Joe?« Stille. Dann fragte er leise und gereizt: »Auf was zum Teufel hast du dich eingelassen?« »Kannst du reden? Ist irgendjemand bei dir?« »Ich gehe raus auf den Parkplatz. Warum hast du mich nicht angerufen? Warum zum Teufel bist du nicht zurück –« »Ich hatte zu tun. Hör auf, mich anzuschreien.« »Ich schreie nicht.« Es stimmte, aber jedes Wort war zornerfüllt. »Ich könnte dich erwürgen.« »Da wirst du dich hinten in der Schlange anstellen müssen.« »Soll das etwa witzig sein?« »Nein. Ich stecke in der Klemme, Joe.« »Das ist mir ziemlich klar. Hast du Logan umgebracht?« Ihre Hand umklammerte das Handy. »Was?« »Hast du ihn umgebracht?« »Bist du verrückt?« »Gib mir eine Antwort. Hör zu, wenn du es getan hast, weiß ich, dass es Notwehr war, aber ich muss es wissen, wenn ich die Sache für dich regeln soll.« »Wie kommst du auf die Idee – natürlich habe ich ihn nicht umgebracht. Er ist nicht tot. Das ist alles gelogen.« Stille. »Dann würde ich sagen, du steckst bist zum Hals in der Scheiße. Hast du die Nachrichten auf CNN gesehen?« »Über den Brand im Barrett House? Ja, ich weiß davon.« »Nein, ich meine die jüngste Meldung. Die, in der du als Hauptverdächtige genannt wirst.« »Ich?« »Novak, Logans Superanwalt, wurde interviewt und er hat gesagt, du wärst mit Logan in dem Haus gewesen.« Er holte tief Luft. »Er behauptete, du seist Logans Geliebte und er sei wegen der Beziehung beunruhigt gewesen, weil du psychisch krank bist.« »Dieser Hurensohn.« »Sie wissen von Lakewood, Eve.« Sie zuckte zusammen. »Wie ist das möglich? Wie kann irgendjemand davon wissen? Du hast doch die Akten verschwinden lassen. Du hast mir doch versprochen –« »Ich weiß nicht, wie sie es rausgefunden haben. Ich dachte, ich hätte alle Spuren verwischt.« »Du hättest –« Gott, sie machte Joe Vorwürfe wegen etwas, für das er überhaupt nicht verantwortlich war. »Haben sie Lakewood direkt erwähnt?« »Ja.« Er schwieg einen Moment. »Ich habe dir gesagt, es gibt keinen Grund, es zu verschweigen. Es ist völlig in Ordnung, zu –« »Offenbar gibt es doch einen Grund.« Joe fluchte leise. »Sag mir, wo du bist. Ich komme zu dir.« Sie versuchte, sich zu konzentrieren. »Wir dürfen uns nicht sehen. Solange du nicht in die Sache verwickelt bist, bist du –« »Sag’s mir. Ich bin schon verwickelt. Sag’s mir, sonst spüre ich dich auf. Und ich bin verdammt gut im Aufspüren.« Sie wusste besser als jeder andere, wie entschlossen Joe sein konnte. »Ich komme nach Atlanta. Ich muss mit Kessler reden. Ich erwarte dich morgen früh um zehn auf dem Parkplatz von Hardee’s draußen in Dekalb. Das ist ungefähr sechs Blocks von Emory entfernt.« »Okay.« Einige Sekunden lang schwieg er. »Wie schlimm ist es, Eve?« »Könnte nicht schlimmer sein.« »Doch, das könnte es. Du könntest mich nicht haben, dann würde dir niemand helfen.« Sie lächelte schwach. »Stimmt. Das wäre noch schlimmer.« Dann fiel ihr etwas ein. »Kannst du ein Foto von Logans Assistentin, Margaret Wilson, auftreiben und es meiner Mutter zukommen lassen? Sag ihr, dass es ein Foto von der Frau ist, die ihr helfen wird.« »Wobei helfen?« »Sie wird Mom an einen sicheren Ort bringen.« » Ich kümmere mich um deine Mutter.« Er klang gereizt. »Du brauchst keine Hilfe von anderen Leuten.« »Tu mir das nicht an, Joe. Ich brauche jede Hilfe, die ich kriegen kann. Wirst du ihr das Foto bringen?« »Ja, natürlich. Aber ich hoffe, dass du einen verdammt guten Grund dafür hast, dass du mir nicht vertraust.« »Aber ich vertraue dir –« Vielleicht würde er sie verstehen, wenn sie ihm alles erklärte. Ihr fiel noch etwas anderes ein. »Könntest du mir ein Foto von James Timwick besorgen und von einem Mann namens Albert Fiske, der für ihn arbeitet? Es wäre gut, wenn du sie morgen mitbringen könntest.« »Timwick dürfte kein Problem sein. Sein
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